Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 1423
Ein besonderes Problem stellt die Versicherungspflicht von Selbstständigen nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI dar (s. allgemein Rdn 1415). Nach dieser Vorschrift sind selbstständig tätige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind, in der Rentenversicherung pflichtversichert mit der Folge, dass sie zwar die Leistungen der Rentenversicherung wie jeder andere Versicherte erhalten, aber auch beitragspflichtig (seit 2018: 18,6 %) sind.
Rz. 1424
Der durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998 eingeführte § 2 Nr. 9 SGB VI bezieht die sog. "arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen" in die Rentenversicherung ein. Durch das Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit vom 20.12.1999 (BGBl I 2000, 2) hat die Vorschrift – rückwirkend zum 1.1.1999 – ihre jetzige Fassung erhalten. Die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung entsteht für diesen Personenkreis nunmehr von Gesetzes wegen, wenn beide Voraussetzungen (Nichtbeschäftigung von versicherungspflichtigen Arbeitnehmern und Bindung an nur einen Auftraggeber) kumulativ vorliegen.
Rz. 1425
Eine etwaige Versicherungspflicht nach § 2 Nr. 1–8 SGB VI geht der Versicherungspflicht nach § 2 Nr. 9 SGB VI vor.
Rz. 1426
Im Zusammenhang mit § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI herrscht leider eine verwirrende Begrifflichkeit. Zwar ist die durch das sog. Scheinselbstständigkeitsgesetz konstituiert worden, sie bezieht sich aber nicht auf Scheinselbstständige, also Personen, die scheinbar selbstständig, in Wahrheit aber nach § 7 Abs. 1 SGB IV beschäftigt sind. Demgegenüber werden von § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI nur tatsächlich selbstständig Tätige erfasst. Personen nach § 2 Nr. 9 SGB VI (arbeitnehmerähnliche Selbstständige) haben den vollen Beitrag zur Rentenversicherung zu entrichten. Eine vergleichbare Versicherungspflicht für arbeitnehmerähnliche Selbstständige existiert in den anderen Zweigen der Sozialversicherung nicht.
Die von § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI erfassten Selbstständigen bilden das Gegenstück zu den in § 7 Abs. 1 SGB IV erfassten (abhängig) Beschäftigten. Sozialversicherungsrechtlich besteht zwischen Selbstständigen ein Entweder-Oder: entweder selbstständig oder beschäftigt.
Rz. 1427
Die Versicherungspflicht tritt nur ein, wenn beide Tatbestandsmerkmerkmale (regelmäßige Beschäftigung von Arbeitnehmern und keine Bindung an nur einen Auftraggeber) gegeben sind.
Rz. 1428
Das Merkmal "Regelmäßige Beschäftigung von versicherungspflichtigen Arbeitnehmern" ist in der Rspr. schon seit Langem als ganz wesentliches Merkmal für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit angesehen worden (s.a. Nachweise bei Hanau/Strick, DB 1988, Beil. zu Heft 40, 3; Brand, NZS 1997, 553; ders., DB 1999, 1162). Bereits die Befugnis, die vertraglich übernommenen Aufgaben durch dritte Personen wahrnehmen zu lassen, wird als Merkmal einer selbstständigen Tätigkeit gewertet. Im Gegensatz zu dieser Rspr. stellt das Merkmal in § 2 Nr. 9 SGB VI allerdings nicht auf die Berechtigung zur Delegation der übernommenen Aufgabe auf andere Arbeitnehmer ab, sondern darauf, ob versicherungspflichtige Arbeitnehmer tatsächlich beschäftigt werden. Das Merkmal ist damit nur erfüllt, wenn tatsächlich keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt werden, unabhängig davon, ob die Auftragnehmer hierzu berechtigt sind, s. hierzu auch BSG v. 30.10.2014 – B 5 RE 11/14 R; Sächsisches LSG v. 21.1.2014 – L 5 R 712/11.
Rz. 1429
Durch die Aufnahme des Merkmales der "Regelmäßigkeit" sollen Manipulationen durch kurzfristige Beschäftigungen von versicherungspflichtigen Arbeitnehmern verhindert werden. Gleichzeitig soll es aber auch unschädlich sein, wenn Erwerbspersonen kurzfristig (z.B. nach Kündigung eines Arbeitnehmers) keinen Arbeitnehmer beschäftigen. Mögliche Umgehungen der Vorschrift durch den Abschluss von Arbeitsverträgen mit minimalen Entgelten werden durch die Aufnahme des Erfordernisses, dass die Arbeitnehmer versicherungspflichtig sein müssen, erschwert. Damit scheiden geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer grds. aus der Anrechnung aus. Allerdings akzeptieren die Sozialbehörden es, wenn der Arbeitgeber zwar nur Geringfügige beschäftigt, deren Lohn- bzw. Gehaltsaddition aber über der Grenze von 450,00 EUR liegt.
Beispiel
A beschäftigt B und C zu je 250,00 EUR monatlich. Für sich gesehen, sind weder B noch C versicherungspflichtige Arbeitnehmer. Da ihr Lohn aber – sofern man ihn addiert – oberhalb von 450,00 EUR liegt, ist die erste Voraussetzung für die Versicherungspflicht nicht erfüllt, so dass A nicht der Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI unterliegt.
Rz. 1430
Das zweite Merkmal "Tätigkeit für nur einen Auftraggeber" stellt auf die Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit ab, um Existenzgründungen nicht zu erschweren. Bei der Beurteilung der Dauerhaftigkeit sind neben den zeitlichen auch wirtschaftlich...