Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 906
Die Entscheidung des LAG München und vergleichbare Urteile des BAG (v. 23.1.1997, NZA 1998, 140 und v. 28.10.2010, NZA 2011, 345 = DB 2011, 711), die letztlich das augenfällige Missverhältnis zwischen Arbeitsverdienst und eingetretenem Schaden berücksichtigen, bewegen sich damit auf der vom Großen Senat des BAG (v. 27.9.1994, DB 1994, 2237 = NZA 1994, 1083) vorgezeichneten Linie, nach der die möglichen Gesichtspunkte, die bei einer Verteilung des Schadens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Rolle spielen können, wie folgt zusammengefasst sind:
▪ |
Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens, |
▪ |
Gefahrgeneigtheit der Arbeit, |
▪ |
Höhe des Schadens, |
▪ |
vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung deckbares Risiko, |
▪ |
Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, |
▪ |
Höhe des Arbeitsentgeltes, |
▪ |
etwaige Risikoprämie im Arbeitsentgelt, |
▪ |
Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, |
▪ |
Lebensalter des Arbeitnehmers, |
▪ |
Familienverhältnisse des Arbeitnehmers, |
▪ |
bisheriges Verhalten des Arbeitnehmers. |
Zur Auswirkung etwa bestehender Versicherungen auf die Verteilung des Schadens zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat das BAG in seinem Urt. v. 28.10.2010 (NZA 2011, 345 = DB 2011, 711) folgende Orientierungssätze aufgestellt:
▪ |
Wird die schädigende Handlung von einer gesetzlich vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung erfasst, so ist die Existenz eines Versicherungsschutzes in die Abwägung einzubeziehen. |
▪ |
Entsprechendes gilt, wenn die Vertragsparteien den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung vertraglich ausbedungen haben und der Arbeitnehmer dafür eine zusätzliche Vergütung erhält. |
▪ |
Das Bestehen einer freiwillig abgeschlossenen Haftpflichtversicherung für privates Handeln beeinflusst dagegen die Haftungshöhe regelmäßig nicht. |
Rz. 907
Ein deutliches Missverhältnis zwischen Arbeitsverdienst und eingetretenem Schaden ist jedenfalls noch nicht erreicht, wenn der zu ersetzende Schaden nicht über drei Bruttomonatseinkommen des Arbeitnehmers liegt (BAG v. 15.11.2001, NZA 2002, 342 = DB 2002, 900). Das BAG (v. 18.1.2007, NZA 2007, 1230 = DB 2007, 973) hat zur Frage des Missverhältnisses von Arbeitsverdienst zur Schadenshöhe ausgeführt: "Der Schaden beläuft sich der Höhe nach auf etwa 3,5 Bruttomonatsgehälter und liegt damit nur knapp über der vielfach in die Diskussion eingeführten Grenze von drei Monatsgehältern." Eine feste summenmäßige Haftungsobergrenze gibt es – unabhängig vom Grad des Verschuldens – jedoch nicht.
Rz. 908
Die für eine Schadensteilung auch bei grober Fahrlässigkeit in Betracht kommenden Kriterien, die keinen abschließenden Katalog bilden, sind zwar aus einer rechtsähnlichen Anwendung der Mitverschuldensregelung nach § 254 BGB gewonnen, haben aber mit der Frage, ob ein Mitverschulden des Arbeitgebers bei der Schadensverursachung vorliegt, für sich genommen nichts zu tun.
Rz. 909
Nach dem zum 1.1.2008 in Kraft getretenen § 114 Abs. 2 VVG können auch im Bereich der Pflichtversicherung Vereinbarungen über die Begrenzung des Versicherungsschutzes durch teilweise Risikoausschlüsse oder Selbstbehalte getroffen werden. Diese dürfen aber den jeweiligen Zweck der Pflichtversicherung nicht gefährden. Bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtversicherung liegen Risiken vor, die der Gesetzgeber als so gefahrträchtig erachtet hat, dass er den Handelnden im Hinblick auf mögliche Gefahren für andere ohne Versicherungsschutz nicht tätig sehen wollte. Die Regeln der gesetzlichen Pflichtversicherung überlagern daher die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung (BAG v. 13.12.2012, NZA 2013, 622). Der Arbeitgeber kann daher einen mit seiner Betriebs- oder KfZ-Haftpflichtversicherung vereinbarten Selbstbehalt nicht von seinem Arbeitnehmer verlangen, wenn dieser in Ausübung seiner Tätigkeit einen (Versicherungs-)Schaden verursacht.
Rz. 910
Nach einer Entscheidung des BAG aus 2018 (v. 7.6.2018 – 8 AZR 96/17, NZA 2019, 44) kann der Arbeitgeber bei einer Schädigung durch einen Dritten grundsätzlich verpflichtet sein, vorrangig diesen in Anspruch zu nehmen, bevor er Ansprüche gegenüber dem mitverantwortlichen Arbeitnehmer geltend macht. Voraussetzung dafür ist indes, dass es dem geschädigten Arbeitgeber bei klarer Rechtslage ohne Weiteres möglich ist, den eigentlichen Schädiger mit rechtlichem und wirtschaftlichem Erfolg in Anspruch zu nehmen.
Rz. 911
Der Frage, ob ein Mitverschulden des Arbeitgebers für den Eintritt eines Schadens mitursächlich geworden ist, ist gesondert nachzugehen. Sollte ein solches Mitverschulden vorliegen, ist der vom Arbeitnehmer verursachte Schaden, der ggf. schon nach den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung aufzuteilen ist, wegen des Mitverschuldens des Arbeitgebers nach § 254 BGB weiter zu "quoteln". Ein Mitverschulden des Arbeitgebers liegt z.B. vor, wenn er bei erkannter Fahruntüchtigkeit seines Lkw-Fahrers es gleichwohl zulässt, dass dieser die Fahrt antritt und er dann aufgrund seiner Fahruntüchtigkeit einen Verkehrsunfall verursacht. Bei einer ggü. ei...