Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 914
Verursacht der Arbeitnehmer einen Arbeitsunfall (vgl. Rdn 204 ff.), der zur Schädigung von Arbeitskollegen oder des Arbeitgebers selbst führt, ist seine Haftung für Personenschäden einschließlich Schmerzensgeld und Beschädigung oder Verlust von Hilfsmitteln (z.B. für eine zerstörte Brille) unter der Voraussetzung ausgeschlossen, dass
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der Arbeitsunfall nicht vorsätzlich herbeigeführt worden ist und |
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es sich auch nicht um einen vorsätzlich herbeigeführten Wegeunfall gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII handelt. |
Rz. 915
Ein Wegeunfall liegt nicht vor, wenn der Unfall nicht bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr passiert, sondern noch auf dem abgegrenzten Werksgelände, z.B. auf dem Weg vom Werkstor und zurück. Der "Betriebswegeunfall" unterliegt den allgemeinen Regeln des Arbeitsunfalls (BAG v. 14.12.2000, NZA 2001, 549). Darüber hinaus ist von einem Betriebswegeunfall, mithin von einem haftungsprivilegierten Arbeitsunfall, auch dann auszugehen, wenn der Unfall zwar bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr geschieht, er aber unmittelbar der betrieblichen Sphäre zuzurechnen ist, etwa bei einem vom Arbeitgeber organisierten Transport von Arbeitnehmern mit einem Firmenfahrzeug zur Baustelle. Von einem solchen Unfall auf einem Betriebsweg ist auch das LAG Schleswig-Holstein (Urt. v. 2.6.2009, DB 2009, 1884) ausgegangen, wobei es dem unfallverursachenden Arbeitnehmer gestattet war, das Firmenfahrzeug mit nach Hause zu nehmen, damit er am nächsten Morgen auf dem Weg zur Baustelle Arbeitskollegen "einsammeln" konnte.
Rz. 916
Bei Arbeitsunfällen erfolgt die Schadensregulierung für fahrlässig verursachte Personenschäden nach der Eingliederung des Rechtes der gesetzlichen Unfallversicherung in das SGB zum 1.1.1997 nach § 105 SGB VII ausschließlich durch die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gem. §§ 26 ff. SGB VII (vgl. Rolfs, NJW 1996, 3177; Stern-Krieger/Arnau, VersR 1997, 408).
Rz. 917
Bei vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführtem Arbeitsunfall kann der zuständige Sozialversicherungsträger den Arbeitnehmer nach § 110 Abs. 1 SGB VII in Regress nehmen. Der Regressanspruch wegen der Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist jedoch auf die Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches begrenzt. Eine derartige Begrenzung kann z.B. zum Tragen kommen, wenn den Geschädigten an dem Arbeitsunfall ein Mitverschulden trifft.
Rz. 918
Die Berufsgenossenschaft kann allerdings bei grob fahrlässig und sogar bei vorsätzlich herbeigeführten Personenschäden gem. § 110 Abs. 2 SGB VII nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers auf den Ersatzanspruch ganz oder teilweise verzichten.
Rz. 919
Bei einem vorsätzlich herbeigeführten Arbeitsunfall haftet der Arbeitnehmer auch für Personenschäden ggü. Arbeitskollegen und dem Arbeitgeber bzw. ggü. deren Hinterbliebenen direkt nach den allgemeinen Vorschriften des BGB. Auch bei einem Arbeitsunfall, der sich als Wegeunfall darstellt (Beispiel: Auf dem Weg zur Arbeit verschuldet der Arbeitnehmer einen Verkehrsunfall und verletzt seinen mit ihm eine Fahrgemeinschaft bildenden Arbeitskollegen) ist die Haftung des Arbeitnehmers nicht durch Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung ausgeschlossen. In aller Regel erfolgt die Schadensregulierung für Ansprüche, die nicht aus der gesetzlichen Unfallversicherung befriedigt werden, dann aber über die Haftpflichtversicherung.
Rz. 920
Arbeitskollegen i.S.d. § 105 SGB VII sind nicht nur diejenigen Arbeitskollegen desselben Betriebes, die wie der schädigende Arbeitnehmer selbst in einem Arbeitsverhältnis zu demselben Arbeitgeber stehen, sondern auch in dem Betrieb des Arbeitgebers tätige Leiharbeitnehmer, ja sogar "betriebsfremde" Personen, wenn sie nur ganz kurzfristig "wie ein Arbeitnehmer" für den Betrieb tätig werden und somit vorübergehend in den Betrieb "eingegliedert" sind. Hierzu zwei Beispiele zur Abgrenzung aus der Rspr. des BAG:
Rz. 921
Beispiel 1
Der Fahrer eines Transportunternehmens, dessen Fahrzeug mit Stahlträgern beladen wurde, "hilft" dem Kranführer des Verladebetriebes nach beendetem Ladevorgang, die Kranseile zu lösen. Bei diesem Vorgang verletzt ihn der Kranführer fahrlässig.
Der verletzte Fahrer kann den Kranführer wegen des erlittenen Personenschadens nicht in Anspruch nehmen, denn bei seiner "Hilfeleistung", dem Lösen der Kranseile, mithin einer Tätigkeit, die dem Verladebetrieb zuzuordnen ist, ist er vorübergehend wie ein Arbeitnehmer dieses Betriebs tätig geworden, sodass der Haftungsausschluss unter "betriebsangehörigen" Arbeitskollegen greift. Ansprüche wegen des erlittenen Personenschadens hat der verletzte Fahrer nur gegen den Unfallversicherungsträger aus der gesetzlichen Unfallversicherung (BAG v. 28.2.1991, DB 1991, 1681 = NZA 1991, 597; vgl. auch BAG v. 19.2.2009, EzA SGB VII § 105 Nr. 5).
Rz. 922
Beispiel 2
Ein Chemiefacharbeiter verletzt fahrlässig einen betriebsfremden Kraftfahrer, weil er für das Abpumpen von Schwefelsäure den...