Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 1270
In den beiden Anti-Mobbing-Urteilen der 5. Kammer des LAG Thüringen (v. 10.4.2001, NZA-RR 2001, 358 u. v. 15.2.2001, NZA-RR 2001, 580) sind in der Konsequenz der von Verfassungs wegen gebotenen staatlichen Schutzpflicht zugunsten der Mobbingopfer erhebliche Beweiserleichterungen angenommen worden. Nach dieser Rspr. können bei schlüssiger Darlegung eines Mobbingsachverhaltes und der Beweisnot des Betroffenen, bei der er allein und ohne Zeugen Mobbing-Übergriffe beweisen soll, i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK die §§ 286, 448 sowie § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO herangezogen werden, die den Grundsätzen eines fairen und auf Waffengleichheit achtenden Verfahrens entsprechen. Die Parteivernehmung ist bei der richterlichen Überzeugungsbildung zu berücksichtigen (LAG Thüringen v. 10.4.2001, NZA-RR 2001, 357 unter Bezugnahme u.a. auf die Rspr. des EGMR v. 27.10.1993, NJW 1995, 1413 ff. und BGH v. 9.10.1997, NJW 1998, 307; zum Erfordernis der Parteianhörung nach § 141 ZPO bzw. Parteivernehmung nach § 448 ZPO zur Sicherung des Anspruches auf rechtliches Gehör bei umstrittenem Inhalt eines Vier-Augen-Gespräches: BVerfG v. 21.2.2001, NJW 2001, 2531 f.).
Rz. 1271
Der Ausgleich der Beweisnot durch Parteivernehmung des mobbingbetroffenen Klägers ist in der Literatur als bahnbrechend für einen verbesserten Rechtsschutz gewürdigt worden (vgl. Etzel, AuR 2002, 230 f.; Schneppendahl, AiB 2002, 302 ff.). Hingegen hat die 1. Kammer des LAG Thüringen diese Beweiserleichterung scharf kritisiert (LAG Thüringen v. 10.6.2004 – 1 Sa 148/01). Die 5. Kammer des LAG Thüringen hat in späteren Urteilen ihre Position bekräftigt und weiter ausgebaut (LAG Thüringen v. 28.6.2005, PersV 2005, 455 ff.). Welche Anforderungen an das von den Betroffenen zu erfüllende Beweismaß genau zu stellen ist, bleibt abzuwarten. Da die als Einheit zu bewertenden Handlungskomplexe als Einzelakte aufgespalten und als solche bewertet werden, ist ein effektiver Rechtsschutz zumeist erschwert (Keul, ZRP 2020, 63).
Rz. 1272
Die Voraussetzungen für eine Parteivernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO werden i.d.R. vorliegen, wenn sich das Mobbingopfer auf keine anderen Zeugen als bei seinem Arbeitgeber beschäftigte Arbeitnehmer zurückgreifen kann. Ob die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 448 ZPO vorliegen, muss für jedes der beweisbedürftigen Handlungselemente des Mobbingsachverhaltes gesondert festgestellt werden. Obwohl die Anwendung des § 448 ZPO vom Gericht von Amts wegen geprüft werden muss, empfiehlt sich ein entsprechender Beweisantrag. Weil von dem sich über einen unbestimmten Zeitraum erstreckenden Geschehen Betroffenen nicht ohne Weiteres erwartet werden kann, dass er in der Verhandlung ohne Rückgriff auf seine Aufzeichnungen zu einer vollständigen und damit wahrheitsgemäßen Aussage in der Lage ist, hat das Thüringer LAG dem Mobbingopfer bei der Parteivernehmung nach § 448 ZPO oder Anhörung nach § 141 ZPO eine Bezugnahmemöglichkeit auf die von ihm zu den Mobbingabläufen gefertigten Notizen oder einer hierzu erstellten eidesstattlichen Versicherung eingeräumt, wenn mangels ausreichender Erinnerungsfähigkeit die Nichtgestattung dieser Möglichkeit zu einer Verhinderung der Beweisführung führen würde. Als Korrektiv zur Verhinderung einer schriftlich vorbereiteten Wahrheitsverschleierung hat es insoweit aber strenge Anforderungen an die Glaubwürdigkeitsprüfung gestellt (LAG Thüringen v. 15.2.2001, NZA-RR 2001, 583).
Rz. 1273
Die Einholung eines medizinischen oder medizinisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht kommt in Betracht, wenn der Mobber das Vorliegen eines mobbingtypischen medizinischen Befundes bestreitet. Die Einholung ist ferner geboten, wenn die Konnexität des Mobbinggeschehens zu einer mobbingspezifischen Veränderung des Gesundheitszustandes zweifelhaft erscheint. In diesem Fall ist Beweis darüber einzuholen, ob die festgestellten Mobbingangriffe zu den vorliegenden Gesundheitsverletzungen geführt haben. Dies setzt voraus, dass ein in nachvollziehbarer Weise, also unter genauer Angabe von Ort, Zeit, Art und Intensität der in Betracht kommenden Vorfälle vorgetragener Mobbingsachverhalt vorgetragen wird, der dem Sachverständigen zur Begutachtung vorgelegt werden kann (ArbG München v. 25.9.2001, NZA 2002, 123, 124). Es ist nicht Aufgabe eines Sachverständigen, eine rechtliche Einordnung als Mobbing vorzunehmen (ArbG München v. 25.9.2001, NZA 2002, 125). Vielmehr hat er sich darauf zu beschränken, die Ursache für die vorliegende Gesundheitsbeeinträchtigung herauszufinden. Dabei darf der Sachverständige sich auch nicht ausschließlich auf die Schilderungen des Opfers stützen. Er muss vielmehr aufgrund eigener Untersuchungen und unter Einsatz wissenschaftlicher Methoden begründen, worauf seines Erachtens die von ihm festgestellten oder ihm von anderen Ärzten mitgeteilten und aufgrund eigener Überzeugungsbildung als zutreffend angesehener Befunde beruhen. Er muss insb. dazu Stellung nehmen, ob es sich um typischerweise infolge von Mobbin...