Dr. Hans-Patrick Schroeder, Dr. Marcus P. Lerch
Rz. 173
Der Urkundsbeweis ist häufig das wichtigste Beweismittel in einem Schiedsverfahren.
Dabei ist zu beachten, dass das Schiedsgericht bei einem Verfahren auf Grundlage des deutschen Schiedsverfahrensrechts grds. die Vorlage von Dokumenten auch dann verlangen kann, wenn sie von den Parteien nicht im Rahmen eines Beweisangebotes in das Verfahren eingebracht worden sind. Dies folgt aus dem Verfahrensermessen des Schiedsgerichts, sofern die Parteien keine anderweitige Vereinbarung getroffen haben. Entsprechende ausdrückliche Befugnisse sind in Art. 28.2 DIS-SchO geregelt. Da dem Schiedsgericht keine Zwangsmittel zur Durchsetzung einer Anordnung zur Verfügung stehen, spricht § 1048 Abs. 3 ZPO aus, dass die Schiedsrichter die entgegen einer Anordnung ausbleibende Vorlage in der Beweiswürdigung berücksichtigen können. I.Ü. kann das Schiedsgericht ein ordentliches Gericht im Wege des Verfahrens nach § 1050 ZPO um Unterstützung bitten und auf diesem Wege die zwangsweise Durchsetzung einer Anordnung erreichen (vgl. Rdn 217 ff.).
Rz. 174
Damit besteht im Schiedsverfahren potentiell also grds. ein im Vergleich zu Verfahren vor ordentlichen Gerichten relativ weitgehender Zugang zu Dokumenten der Gegenseite, der für die Parteien Chance und Risiko zugleich sein kann. Ausschlaggebend ist im Einzelfall, wie das Schiedsgericht sein Verfahrensermessen umsetzt. Während vor ordentlichen Gerichten die Anordnung der Dokumentenvorlage nach § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO ihre Grenze jedenfalls im Verbot des Ausforschungsbeweises einerseits und dem Erfordernis der konkreten Bezugnahme einer Partei andererseits findet, sind diese im Schiedsverfahren keine zwingenden Hindernisse. So ist vorstellbar, dass ein von Common Law-Schiedsrichtern geprägtes Schiedsgericht auch bei Geltung deutschen Rechts einen weitgehenden Austausch von Dokumenten anordnet. Im Extremfall ist sogar denkbar, dass die wechselseitige Vorlage aller Dokumente mit Bezug zu dem Streitgegenstand zwischen den Parteien angeordnet wird. Üblich ist ein solches Verfahren vor Schiedsgerichten mit Sitz in Deutschland allerdings nicht.
Rz. 175
Schiedsgerichte neigen dazu, eine Kombination von Common Law- und Civil Law-Verfahrensstil anzuwenden. In einem Schiedsverfahren werden zunächst die Parteien, wie in einem Zivilprozess vor deutschen Gerichten, diejenigen Dokumente als Beweismittel einbringen, die ihre Argumentation stützen. Im Normalfall wird jede Partei bei der Vorlage der jeweils anderen Parteien aus eigener Sicht entscheidende Dokumente vermissen, die im Einflussbereich der Gegenpartei liegen. Die Folge ist dann, dass die Parteien Anträge auf Vorlage von Dokumenten an das Schiedsgericht richten werden (sog. Request to Produce oder Document Request). Das Schiedsgericht entscheidet dann im Rahmen seines Verfahrensermessens über den Antrag.
Rz. 176
Die Anträge werden je nach dem Verfahrensverständnis der Prozessbevollmächtigten und des Schiedsgerichts mehr oder weniger umfangreich sein. Da die Gegenpartei im Regelfall versuchen wird, das Schiedsgericht davon zu überzeugen, den Antrag negativ zu bescheiden, können die Auseinandersetzungen über Anträge zur Dokumentenvorlage erheblichen Aufwand erfordern. Um langwierige Auseinandersetzungen zu vermeiden, kann es daher schon im Vorfeld angebracht sein, klare Bedingungen bzw. ein geregeltes Verfahren zur Behandlung von Anträgen zur Dokumentenvorlage zu vereinbaren. Die IBA Rules geben in Art. 9.4 ein Beispiel dafür, wie ein solches Verfahren aussehen könnte. Denkbar ist z.B. auch, die Grundsätze des § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO für anwendbar zu erklären und die prozessuale Durchführung genauer zu regeln.