Dr. Hans-Patrick Schroeder, Dr. Marcus P. Lerch
aa) Ausnahmecharakter der Norm und enumerativer Katalog der Aufhebungsgründe
Rz. 246
Die Gründe, aus denen ein Schiedsspruch angefochten werden kann, sind in § 1059 Abs. 2 ZPO abschließend aufgezählt. Eine Erweiterung dieses Kataloges ist nicht zulässig. Eine Inzidentprüfung der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung des Schiedsgerichts durch das staatliche Gericht ist nicht statthaft. Das staatliche Gericht kann lediglich das schiedsrichterliche Verfahren überprüfen, nicht aber die Entscheidung in der Sache.
bb) Gründe des § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO
Rz. 247
Die Aufhebungsgründe des § 1059 Abs. 2 ZPO sind nach dem Wortlaut ("wenn der Antragsteller begründet geltend macht") nur auf Rüge hin zu berücksichtigen. Folgende Aufhebungstatbestände können vom Antragsteller geltend gemacht werden:
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Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung |
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fehlende Kenntnis von der Bestellung eines Schiedsrichters oder von der Einleitung des schiedsrichterlichen Verfahrens |
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Entscheidung des Schiedsgerichts ultra petita |
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Fehler im schiedsrichterlichen Verfahren |
(1) Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung
Rz. 248
Die Schiedsvereinbarung kann zunächst wegen der fehlenden subjektiven Schiedsfähigkeit einer der Parteien unwirksam sein (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a), 1. Alt. ZPO). Die Schiedsfähigkeit ist als selbstständige Vorfrage in internationalen Streitigkeiten gesondert anzuknüpfen. Bei deutschen Verfahren sind die Art. 7, 12 EGBGB anzuwenden.
Rz. 249
Die Schiedsvereinbarung kann aber auch aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften unwirksam sein (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a), 2. Alt. ZPO). Die Unwirksamkeit kann sich dabei aus einem Verstoß gegen das Recht, das nach der ausdrücklichen Parteiwahl auf die Schiedsvereinbarung anwendbar sein soll, ergeben oder hilfsweise aus einem Verstoß gegen deutsches Recht. Einschlägig sind nach deutschem Recht die oben dargestellten Unwirksamkeitsgründe (vgl. Rdn 42 ff.). Das Fehlen oder die Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung kann jedoch im Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden, wenn eine Partei ohne eine entsprechende Rüge der Zuständigkeit des Schiedsgerichts am Schiedsverfahren teilgenommen hat. In diesem Fall verstößt die Vollstreckbarerklärung des auf einer unwirksamen Schiedsvereinbarung beruhenden Schiedsspruchs auch nicht gegen den ordre public.
(2) Besondere Gehörsverstöße
Rz. 250
Die Vorschrift des § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. b) ZPO regelt drei Fälle des Verstoßes gegen das rechtliche Gehör. Ein Schiedsspruch ist aufzuheben, wenn
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eine Partei entweder von der Bestellung eines Schiedsrichters (1. Var.) oder |
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von dem Schiedsverfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt wurde (2. Var.) sowie |
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in den Fällen, in denen eine Partei aus anderen Gründen Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht geltend machen konnte (3. Var.). |
Der Aufhebungsgrund der fehlenden Gelegenheit zur Geltendmachung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln ist unscharf formuliert, da er nicht auf bestimmte Angriffs- und Verteidigungsmittel beschränkt ist. Insoweit kann praktisch jeder Gehörverstoß diese Auswirkungen haben. Aufgrund dieses weiten Anwendungsbereichs ist die Gehörsverletzung einer der am häufigsten geltend gemachte Aufhebungsgründe.
Hinweis
Es ist aus anwaltlicher Sicht ratsam, bei der Geltendmachung anderer Aufhebungsgründe (insb. dem Aufhebungsgrund des Verfahrensfehlers nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO und des Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO) zu prüfen, ob der Partei dadurch auch die Geltendmachung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln verwehrt wurde.
Rz. 251
Die Durchführung einer virtuellen Schiedsverhandlung steht nicht im Konflikt mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör, sofern sie sachgemäß vorbereitet und durchgeführt wurde. Dies folgt bereits daraus, dass eine Gehörsverletzung im Schiedsverfahren nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen ist wie im staatlichen Gerichtsverfahren (vgl. Rdn 97), wo gem. § 128a ZPO die Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung ausdrücklich gestattet ist.
Rz. 252
Die benachteiligte Partei muss einen Gehörsverstoß im laufenden Schiedsverfahren rügen, da sie ansonsten gem. § 1027 ZPO im Aufhebungsverfahren mit diesem Einwand präkludiert ist. Insoweit obliegt es dem Parteivertreter, bereits im Schiedsverfahren sorgfältig das Vorliegen eventueller Gehörsverstöße zu prüfen und ggf. zu rügen, um diese Präklusion zu vermeiden. Im Aufhebungsverfahren muss der Antragsteller dann darlegen, dass die Entscheidung in der Sache ohne den Gehörsverstoß anders ausgefallen wäre.