Dr. Hans-Patrick Schroeder, Dr. Marcus P. Lerch
Rz. 180
Die Art und Weise der Befragung der Zeugen steht, wie der übrige Ablauf der Beweiserhebung, im Ermessen des Schiedsgerichts. Die Befragung kann daher etwa im Common Law-Stil im Wesentlichen den Parteien überlassen werden. In diesem Fall kann zunächst die Partei, die den Zeugen benannt und zur mündlichen Verhandlung mitgebracht hat, den Zeugen befragen, anschließend bekommt die andere Partei Gelegenheit zum Kreuzverhör (cross examination). Das Schiedsgericht kann in diesem Fall eine eher passive Rolle einnehmen, kann aber auch Zwischenfragen stellen bzw. nach der Befragung durch die Parteien noch einmal eigene Fragen an den Zeugen richten. Möglich ist es umgekehrt ebenso, dass die Befragung im Stile der deutschen ZPO zunächst allein durch das Schiedsgericht durchgeführt wird und die Parteien im Anschluss ergänzende Fragen stellen können. Aus der Praxis wird – teilweise durchaus kritisch – berichtet, dass in internationalen Schiedsverfahren die Tendenz bestehe, im Rahmen einer Mischung der Verfahrensstile verstärkt Elemente der Zeugenbefragung im Stil des Common Law zu integrieren, selbst wenn der Streit keine Bezüge zum common law aufweist.
Rz. 181
Die Zeugenbefragung in virtuellen Schiedsverhandlungen führt zu besonderen Herausforderungen. So kann mitunter die Glaubwürdigkeit eines Zeugen ohne persönlichen Kontakt schwerer zu beurteilen sein, da die Körpersprache und Gesichtsausdrücke eines Zeugen in Reaktion auf eine Frage nicht hinreichend wahrgenommen werden können. Auch das Schweigen eines Zeugen auf eine Frage eines Parteivertreters bei einer Videokonferenz mag nicht die gleiche Wirkung wie bei einer Vernehmung in Person zu erzeugen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass auch im Verfahren vor den staatlichen Gerichten gem. § 128a ZPO die Zeugenvernehmung per Videokonferenz ohne zusätzliche Einschränkungen zulässig ist. Zudem kann die Wahrnehmung der Körpersprache eines Zeugen durch die Positionierung und Fokus der verwendeten Kameras ermöglicht werden. Letztlich obliegt es den Schiedsparteien und ihren Parteivertretern, zu beurteilen, welche Form der Zeugenbefragung prozesstaktisch die größeren Vorteile bietet.
Rz. 182
Eine andere Frage ist, ob die Zeugen durch die Prozessbevollmächtigten der Parteien auf ihre Aussage, z.B. durch einen Probelauf der erwarteten Befragung (rehearsal) vorbereitet werden dürfen (sog. witness coaching). In internationalen Schiedsverfahren gehört eine solche Vorgehensweise heute zum Standard. Ein Verbot der Zeugenvorbereitung ist auch dem deutschen Recht fremd. Sofern die Grenzen der prozessualen Wahrheitspflicht eingehalten werden, bestehen keine standesrechtlichen Bedenken gegen eine Vorbereitung des Zeugen. Die Grenze ist überschritten, wenn Zeugen durch die Prozessbevollmächtigten oder Parteien zur Falschaussage veranlasst werden. Der Zeuge selbst unterliegt hingegen vor dem Schiedsgericht nach deutschem Recht grds. keiner Aussagepflicht, zudem macht er sich bei Falschaussagen nicht gem. §§ 153 ff. StGB strafbar, da das Schiedsgericht keine "zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständige Stelle" im Sinne dieser Vorschriften ist. Im Übrigen sind strafrechtliche Risiken bei einer Falschaussage aber nicht ausgeschlossen.