Dr. Hans-Patrick Schroeder, Dr. Marcus P. Lerch
Rz. 81
Im Schiedsverfahren gilt zunächst nur das Zehnte Buch der ZPO. Die übrigen Vorschriften der ZPO sind nicht unmittelbar anwendbar, und in den meisten Fällen verbietet sich eine analoge Heranziehung wegen der Besonderheiten des Schiedsverfahrens (vgl. Rdn 82). Das Schiedsverfahren wird daher durch die Parteien und das Schiedsgericht gemeinsam in den Grenzen des zwingenden nationalen Rechts ausgestaltet (vgl. Rdn 83 ff.). Im Anschluss an die Darstellung des zwingenden Rechts werden zunächst die im Schiedsverfahren anwendbaren Verfahrensgrundsätze aufgezeigt (vgl. Rdn 86 ff.), bevor der typische Ablauf eines Schiedsverfahrens im Grundmodell erläutert wird (vgl. Rdn 101 ff.).
1. Grundsatz: Keine unmittelbare Anwendung der ZPO
Rz. 82
Obwohl der Ablauf eines Schiedsverfahrens in groben Zügen dem Ablauf eines Prozesses vor ordentlichen Gerichten gleicht, gibt es doch einige erhebliche Besonderheiten. Zunächst ist zu beachten, dass die Regeln der ZPO für das Gerichtsverfahren auch bei der Wahl von Deutschland als Schiedsort und Sitz des Schiedsgerichts grds. keine unmittelbare Anwendung finden. D.h. jedoch nicht, dass sich ein Schiedsgericht bei der Ausgestaltung des Schiedsverfahrens nicht an den Regeln der ZPO orientieren kann. Voraussetzung für die Orientierung an einer Norm der ersten neun Bücher der ZPO ist jedoch, dass diese Vorschrift der Interessenlage der Parteien im Schiedsverfahren entspricht. Dies ist z.B. bei den Regelungen über das Versäumnisurteil nicht der Fall. Das Gehör der säumigen Partei würde – anders als im staatlichen Verfahren – über Gebühr eingeschränkt, weil das Schiedsgericht mit Erlass eines Schiedsspruchs aufgrund der Säumnis sein Mandat zur Entscheidung des Streitgegenstandes verliert (zum Umgang mit der Säumnis in Verfahren nach der DIS-SchO s. z.B. Art. 30 DIS-SchO, wonach das Schiedsverfahren ohne Geständnisfiktion fortgesetzt wird). Auch in zahlreichen anderen Fällen verbietet sich die analoge Anwendung der ersten neun Bücher wegen der Besonderheiten des Schiedsverfahrens. So kommen Streitverkündigung und Nebenintervention wegen des Primats der Schiedsvereinbarung jedenfalls nicht nach den Mechanismen der ZPO in Betracht. Auch ein Urkunds- oder Musterfeststellungsverfahren ist konzeptionell in der Schiedsgerichtsbarkeit undenkbar. Für den einstweiligen Rechtsschutz existieren Sonderregeln im Zehnten Buch.
Das Zehnte Buch der ZPO zum "Schiedsrichterlichen Verfahren" enthält ein grobes Gerüst aus im Wesentlichen dispositiven Vorschriften. Deren sinnvolle Ergänzung für das Verfahren liegt in den Händen der Parteien und des Schiedsgerichts.
2. Gestaltung des Verfahrens durch die Parteien und/oder das Schiedsgericht
a) Grundsatz: Gestaltung des Verfahrens durch die Parteien
Rz. 83
Die Parteien können durch Vereinbarungen vor oder auch während des Verfahrens den Verfahrensablauf im Rahmen ihrer Parteiautonomie weitestgehend selbst gestalten. So können sie insb. die Anwendung des dispositiven Schiedsverfahrensrechts ausschließen. Schließen die Parteien das dispositive Verfahrensrecht nicht aus, gilt dieses ergänzend zu den gewählten Verfahrensregelungen.
Sofern die Parteien keine Regelung vereinbaren, kann das Schiedsgericht den Verfahrensablauf nach seinem Ermessen in den gesetzlichen Grenzen bestimmen.
Soweit aber eine konkrete Parteivereinbarung vorliegt, verliert das Schiedsgericht sein Verfahrensgestaltungsermessen. Es kann dann ohne die vorherige Zustimmung der Parteien keine anderslautende Verfahrensgestaltung mehr wählen. Bei Verstoß droht die Aufhebung des Schiedsspruches durch das zuständige Oberlandesgericht. Dies gilt selbst für "einfache" Fragen wie Fristverlängerungen, weshalb Verfahrensregeln auch nach Abstimmung mit den Parteien nicht vereinbart, sondern einseitig erlassen werden sollten.
Hinweis
In der Praxis vereinbaren die Parteien häufig bereits in der Schiedsklausel, dass die Schiedsordnung einer bestimmten Institution anwendbar sein soll. Die wesentlichen Verfahrensschritte sind damit vorgegeben. Die weitere Gestaltung des Verfahrens liegt dann i.d.R. allein beim Schiedsgericht (vgl. Art. 21.3 DIS-SchO; Art. 19 ICC-SchO). Die Parteien können aber in jeder Phase des Verfahrens weitere Vereinbarungen hinsichtlich des prozessualen Ablaufs treffen.
b) Weitgehendes Ermessen des Schiedsgerichts zur Gestaltung des Verfahrens
Rz. 84
Das Schiedsgericht hat weitreichendes Ermessen bei der Bestimmung des Verfahrensablaufes. In der Ausübung des Ermessens durch das Schiedsgericht, in der Praxis häufig durch den Vorsitzenden, kann ein Schiedsverfahren nach deutschem Schiedsverfahrensrecht Züge eines Prozesses im Common Law-Rechtskreis annehmen. Ebenso kann es aber sein, dass das Schiedsgericht sich hauptsächlich an den Regeln der ZPO oder einer anderen Verfahrensordnung aus dem Civil Law-Rechtskreis orien...