Dr. Hans-Patrick Schroeder, Dr. Marcus P. Lerch
Rz. 26
Das Schiedsverfahren unterliegt regelmäßig Normen unterschiedlicher Herkunft und Rangstelle. Zunächst beansprucht das nationale Schiedsverfahrensrecht am Schiedsort grds. seine Geltung. In Deutschland folgt dieser Geltungsanspruch aus §§ 1025 Abs. 1, 1043 Abs. 1 ZPO. Gleichzeitig ist das Schiedsverfahrensrecht weitgehend dispositiv und lässt eine abweichende Verfahrensvereinbarung der Parteien regelmäßig zu, soweit zwingendes Recht am Schiedsort (lex loci arbitri) nicht entgegensteht. Dies ermöglicht den Parteien sowohl eine individuelle Verfahrensvereinbarung als auch die Vereinbarung der Anwendbarkeit einer vorgefertigten Verfahrensordnung. Bei institutionellen Schiedsverfahren ergibt sich die Anwendbarkeit der Schiedsordnung regelmäßig aus der Einigung über die Zuständigkeit der Institutionen. Zu beachten ist, dass die Regelungen der institutionellen Schiedsordnungen ebenso nachgiebig sind und eine abweichende Parteivereinbarung zulassen.
Hinweis
In der Praxis ergibt sich folgende Normenhierarchie: An der Spitze steht das zwingende Recht am Schiedsort. Enthält dieses keine Vorgaben, ist zur Klärung einer verfahrensrechtlichen Detailfrage zu prüfen, ob eine diesbezügliche Parteivereinbarung vorliegt. Wenn dies der Fall ist, ist diese Vereinbarung anzuwenden. Liegt keine Parteivereinbarung vor, so ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob eine evtl. anwendbare Verfahrensordnung eine Antwort auf dieses Problem enthält. Erst wenn dies nicht der Fall ist, ist das (dispositive) nationale Schiedsverfahrensrecht anzuwenden (zu der Frage, ob das nationale Zivilprozessrecht zur Füllung von Lücken des nationalen Schiedsverfahrensrechts herangezogen werden kann, s.u. Rdn 82 ff.). Enthält auch das Schiedsverfahrensrecht keine ausdrückliche Regelung für ein bestimmtes Problem, hat das Schiedsgericht regelmäßig ein sog. Verfahrensgestaltungsermessen und kann den Parteien – im Rahmen der flankierenden Pflichten zur Gleichbehandlung der Parteien und zur Gewährung rechtlichen Gehörs – einseitig Verfahrensregeln vorgeben (für Deutschland s. § 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO i.V.m. Abs. 1 ZPO).
Rz. 27
Aktuell ist eine Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts geplant, um die Attraktivität Deutschlands als internationalen Schiedsstandort zu stärken. Nach dem im April 2023 veröffentlichten Eckpunktepapier des Justizministeriums zur Reform soll insbesondere die Prozessökonomie und Verfahrenseffizienz von Schiedsverfahren in Deutschland gesteigert werden (z.B. durch die Ermöglichung formfreier Schiedsvereinbarungen im Wirtschaftsverkehr oder die gesetzliche Absicherung der Möglichkeit von virtuellen Verhandlungen) sowie die Weltoffenheit des Schiedsstandorts Deutschland betont werden (z.B. durch Einführung einer speziellen Zuständigkeit der Commercial Courts für Aufhebungs- und Vollstreckungsverfahren mit Englisch als Verfahrenssprache). Details und Zeitplan für die Reform waren bei Redaktionsschluss noch offen.
Rz. 28
Neben den genannten Normen existieren noch verschiedene weitere Regelwerke mit Bezug zum Schiedsverfahren, die überwiegend Vorbildcharakter haben (soft law). Die Schiedsgerichte können bei der Ausübung ihres schiedsrichterlichen Ermessens auf derartige Regelwerke zurückgreifen, um ihre Entscheidung zu begründen. Hierzu gehören u.a. die zu Ende 2020 überarbeiteten International Bar Association Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration (IBA Rules) oder der AAA Code of Ethics für Schiedsrichter. Diese Normen entfalten für Schiedsverfahren ohne eine ausdrückliche Parteivereinbarung zwar keine rechtliche Geltung, dürften als kodifizierte sog. best practice aber bereits aus Gründen der Vorhersehbarkeit des Verfahrens vom Schiedsgericht regelmäßig ergänzend herangezogen werden.