Rz. 105
Eine für die Praxis des Unfallhaftpflichtrechts bedeutsame Sonderregelung der Verjährungshemmung enthält § 115 Abs. 2 S. 3 VVG.
1. Schadensanmeldung
Rz. 106
Denn bei der Pflicht-Haftpflichtversicherung, wie sie namentlich für Kraftfahrzeuge gilt, ist die Verjährung des Direktanspruchs des Verletzten gegen den Haftpflichtversicherer des Pflichtigen ab der Anmeldung bis zum Eingang der schriftlichen Erklärung des Versicherers gehemmt. Zur Anmeldung der Ansprüche des Dritten beim Haftpflichtversicherer genügt dabei die außergerichtliche formlose Geltendmachung eines Schadens unter Hinweis auf ein bestimmtes Schadensereignis, wobei die einzelnen Ersatzansprüche noch nicht bezeichnet oder gar beziffert werden müssen. Die uneingeschränkte Anmeldung führt für alle in Betracht kommenden Ersatzansprüche, selbst soweit sie möglicherweise auf eintrittspflichtige Leistungsträger übergegangen sind, zur Verjährungshemmung.
Rz. 107
Eine Schadensanzeige seitens des Versicherungsnehmers oder des Versicherten bewirkt alleine noch keine Hemmung gem. § 115 VVG, wohl aber, wenn damit zugleich die Geltendmachung durch den Geschädigten an den Versicherer weitergeleitet wird. Leitet der Versicherungsnehmer die ihm überlassene Schadenanzeige des Geschädigten nicht weiter, muss letzterer sich dies allerdings zurechnen lassen.
2. Stellungnahme des Versicherers
Rz. 108
Die Verjährungshemmung wird dann erst durch eine abschließende Stellungnahme des Versicherers zu Grund und Umfang der Ersatzpflicht beendet, an die die Rechtsprechung strenge Anforderungen stellt. Es muss sich um eine – für den Geschädigten negative oder auch positive, in jedem Falle aber schriftliche Entscheidung in der Sache handeln, die eindeutig und endgültig ist. Eine positive Entscheidung muss erschöpfend, umfassend und endgültig sein; der Anspruchsteller muss aufgrund der Entscheidung sicher sein können, dass auch künftige Forderungen aus dem Schadensfall freiwillig bezahlt werden, sofern er die entsprechenden Schadensposten der Höhe nach ausreichend belegt. Eine mündliche Ablehnung reicht selbst dann nicht, wenn sie vom Geschädigten schriftlich bestätigt wird. Nach früherer Rechtsprechung soll auch eine die Verjährungshemmung abschließende Entscheidung des Versicherers noch nicht in (selbst mehreren) Abrechnungsschreiben liegen, in denen der Versicherer Zahlungsanforderungen des Haftpflichtgläubigers, die lediglich konkrete Leistungen auf einzelne Schadensposten betreffen, nach unten korrigiert. Ob dem – etwa mit Blick auf das Fehlen einer abschließenden Entscheidung im vorgenannten Sinne – im Einzelfall zu folgen ist, dürfte inzwischen in aller Regel dahinstehen können, weil schon nach allgemeinen Regeln dann ein weiter reichender Neubeginn der Verjährung gem. § 212 anzunehmen sein wird; und zwar nicht nur aufgrund Abschlagszahlungen, sondern wegen ausdrücklichen Anerkenntnisses. Denn entsprechend zutreffender neuerer Rechtsprechung ist schließlich eine Regulierungszusage des Haftpflichtversicherers gegenüber dem Geschädigten – sogar – dahin zu verstehen, dass der Versicherer seinem Versicherungsnehmer gegenüber deckungspflichtig ist und in dessen Namen den Haftpflichtanspruch anerkennt; liegt darin ein beide Rechtsverhältnisse umfassendes, den Versicherer wie den Versicherungsnehmer verpflichtendes deklaratorisches (kausales) Anerkenntnis gegenüber dem Geschädigten, dann erst recht ein Anerkenntnis im Sinne von § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Einer die Verjährungshemmung durch Anspruchsanmeldung beendenden Entscheidung des Versicherers in vorgenanntem Sinne gleich stehen außerdem ein endgültiger Abfindungsvergleich oder auch der Ausgleich aller geltend gemachten Ansprüche.
Rz. 109
Die Beendigung der Verjährungshemmung bedarf jedenfalls einer Erklärung des Versicherers, tritt also nicht etwa allein durch eine verzögerliche Behandlung von Anfragen des Versicherers durch den Geschädigten ein.
Rz. 110
Angesichts der gesetzlichen Regelung, namentlich des Erfordernisses einer eindeutigen Entscheidung des Versicherers zur Beendigung der Verjährung ist in diesem Kontext auch für die Anwendung der Regeln über das "Einschlafenlassen von Verhandlungen" (siehe oben) kein Raum. Der Versicherer wird dadurch auch nicht unbillig belastet, denn er hat es selbst in der Hand, die Verjährung durch eine formwahrende und eindeutige Erklärung wieder in Lauf zu setzen. Entsprechend ist es dem Anspruchsteller weder unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung noch im Übrigen nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf das Fehlen einer wirksamen Entscheidung nach § 115 Abs. 2 S. 3 VVG und damit auf die...