I. Allgemein
Rz. 8
Bei Brückenmessverfahren werden verschiedene Messsysteme (z.B. VKS, Vama etc.) eingesetzt, die sich jedoch sehr ähneln. Der auflaufende Verkehr wird bei diesem Verfahren auf Video aufgenommen und der von dem Nachfolgenden eingehaltene Abstand anhand der Zeitdifferenz zwischen ihm und dem Vordermann und der gleichzeitig ermittelten Geschwindigkeit errechnet (zu Einzelheiten siehe unten, Rdn 15).
Um nachzuweisen, dass es sich nicht nur um eine ganz kurzfristige oder vom Vordermann verschuldete Abstandsunterschreitung gehandelt hat, wird eine größere, bereits vor der eigentlichen Messung liegende Strecke aufgenommen. Die Messung selbst erfolgt jedoch auf der kurz vor der Brücke liegenden Messstrecke von 50 m, die durch entsprechende Striche am linken Fahrbahnrand markiert ist. Da die Videokameras meist hinter einem am Brückengeländer angebrachten Schild versteckt und das Polizeifahrzeug nicht zu sehen ist, bekommen die meisten Betroffenen von der eigentlichen Messung nichts mit. Sie bemerken erst die unter der Brücke installierte Wiedererkennungskamera, was zu entsprechenden Bremsvorgängen führt mit der Folge, dass sich die Beschuldigten (und nicht selten auch ihre Verteidiger) in ihrer Verteidigung auf die durch die plötzliche Bremsung des Vordermannes eingetretene Abstandsverkürzung konzentrieren. Dabei dient diese Aufnahme nur der Wiedererkennung und spielt im Übrigen bei der Abstandsmessung keine Rolle.
II. Verfassungsgemäß?
1. Gesetzliche Grundlage
Rz. 9
In einem Brückenabstandsmessverfahren, in dem sich die Verantwortlichen auf eine ministerielle Anweisung als Rechtsgrundlage für die Videoaufnahmen berufen hatten, hat das Bundesverfassungsgericht darauf aufmerksam gemacht, dass in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, nach dem jeder selbst bestimmen kann, ob ihn betreffende Daten (auch Lichtbilder und Videoaufnahmen) erhoben und gesammelt werden dürfen, nur eingegriffen werden darf, wenn eine gesetzliche Regelung hierzu ausdrücklich ermächtigt. Anderenfalls besteht ein Beweiserhebungsverbot (BVerfG zfs 2009, 589). Eine gesetzliche Grundlage sieht die h.M. - in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Auslegung (BVerfG DAR 2010, 508) - in § 100h Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO, § 46 OWiG (OLG Bremen DAR 2011, 35; Thüringer OLG zfs 2011, 109; OLG Dresden DAR 2011, 216).
2. Aufnahmen Unverdächtiger - Beweisverwertungsverbot?
Rz. 10
Unstreitig rechtfertigt § 100h StPO jedoch nicht auch Aufnahmen Unverdächtiger. Deshalb verstoßen Messsysteme, die nur mit einer Videokamera arbeiten und so sämtliche Verkehrsteilnehmer - auch Unverdächtige - individualisierbar aufnehmen, wie z.B. die Infrarotkamera Leinetec, die in einer bestimmten Betriebsart jeden automatisch aufnimmt (AG Cloppenburg zfs 2011, 173), gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und unterliegen einem Beweiserhebungsverbot (OLG Oldenburg zfs 2010, 170; OLG Düsseldorf NZV 2010, 263; OLG Dresden DAR 2010, 210). Ob ein so gewonnenes Beweismittel nicht verwertet werden darf, ist damit aber noch nicht entschieden.
Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung hat nämlich ein Beweisverwertungsverbot nur dann zwingend zur Folge, wenn in den absoluten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Betroffenen oder in dessen enge Privatsphäre eingegriffen wurde. Die Verwendung von Videoaufzeichnungen zum Nachweis eines Abstandsverstoßes berührt den genannten Bereich jedoch nicht (BVerfG DAR 2011, 457).
Die Entscheidung darüber, ob in den vorgenannten Fällen ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, ist - verfassungsrechtlich unangreifbar (BVerfG DAR 2008, 691) - allein von den Fachgerichten nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, d.h. nach der geltenden Abwägungslehre, in der die Interessen des Staates an der Verfolgung und Ahndung auch von Ordnungswidrigkeiten mit den durch das Beweisverwertungsverbot geschützten Individualinteressen abzuwägen sind (BGHSt 44, 243, 249).
Nach Auffassung der Oberlandesgerichte Oldenburg (zfs 2010, 170) und Düsseldorf (NZV 2010, 263) muss diese Abwägung jedenfalls in Ordnungswidrigkeitenverfahren zugunsten eines Verwertungsverbots ausfallen, da es sich dabei lediglich um die Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten handelt, bei denen, anders als im Strafrecht, der Opportunitätsgrundsatz gilt. Das BVerfG (DAR 2011, 457) hält aber auch die gegenteilige Auffassung für vertretbar.
Rz. 11
Achtung: Widerspruch erforderlich
Die Nichtbeachtung eines bestehenden Verwertungsverbots kann in der Revisionsinstanz nur dann geltend gemacht werden, wenn der Verteidiger der Verwertung der Videomessung bzw. des Messbildes zu Protokoll widersprochen hat und im Einzelnen darlegt, welche Fehler gemacht worden sein sollen (BGH NJW 2007, 3587; NJW 2008, 307).
Rz. 12
Die vorgenannten Fragen stellen sich allerdings in jüngster Zeit deshalb nicht mehr mit der gleichen Schärfe, weil moderne Abstandsmessgeräte mit mindestens zwei Kameras arbeiten, nämlich einer "Brückenkamera", die zunächst lediglich Übersichtsaufnahmen fertigt, auf denen weder Fahrer noch Kennzeichen zu erkennen si...