1. Gesetzliche Grundlage
Rz. 9
In einem Brückenabstandsmessverfahren, in dem sich die Verantwortlichen auf eine ministerielle Anweisung als Rechtsgrundlage für die Videoaufnahmen berufen hatten, hat das Bundesverfassungsgericht darauf aufmerksam gemacht, dass in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, nach dem jeder selbst bestimmen kann, ob ihn betreffende Daten (auch Lichtbilder und Videoaufnahmen) erhoben und gesammelt werden dürfen, nur eingegriffen werden darf, wenn eine gesetzliche Regelung hierzu ausdrücklich ermächtigt. Anderenfalls besteht ein Beweiserhebungsverbot (BVerfG zfs 2009, 589). Eine gesetzliche Grundlage sieht die h.M. - in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Auslegung (BVerfG DAR 2010, 508) - in § 100h Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO, § 46 OWiG (OLG Bremen DAR 2011, 35; Thüringer OLG zfs 2011, 109; OLG Dresden DAR 2011, 216).
2. Aufnahmen Unverdächtiger - Beweisverwertungsverbot?
Rz. 10
Unstreitig rechtfertigt § 100h StPO jedoch nicht auch Aufnahmen Unverdächtiger. Deshalb verstoßen Messsysteme, die nur mit einer Videokamera arbeiten und so sämtliche Verkehrsteilnehmer - auch Unverdächtige - individualisierbar aufnehmen, wie z.B. die Infrarotkamera Leinetec, die in einer bestimmten Betriebsart jeden automatisch aufnimmt (AG Cloppenburg zfs 2011, 173), gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und unterliegen einem Beweiserhebungsverbot (OLG Oldenburg zfs 2010, 170; OLG Düsseldorf NZV 2010, 263; OLG Dresden DAR 2010, 210). Ob ein so gewonnenes Beweismittel nicht verwertet werden darf, ist damit aber noch nicht entschieden.
Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung hat nämlich ein Beweisverwertungsverbot nur dann zwingend zur Folge, wenn in den absoluten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Betroffenen oder in dessen enge Privatsphäre eingegriffen wurde. Die Verwendung von Videoaufzeichnungen zum Nachweis eines Abstandsverstoßes berührt den genannten Bereich jedoch nicht (BVerfG DAR 2011, 457).
Die Entscheidung darüber, ob in den vorgenannten Fällen ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, ist - verfassungsrechtlich unangreifbar (BVerfG DAR 2008, 691) - allein von den Fachgerichten nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, d.h. nach der geltenden Abwägungslehre, in der die Interessen des Staates an der Verfolgung und Ahndung auch von Ordnungswidrigkeiten mit den durch das Beweisverwertungsverbot geschützten Individualinteressen abzuwägen sind (BGHSt 44, 243, 249).
Nach Auffassung der Oberlandesgerichte Oldenburg (zfs 2010, 170) und Düsseldorf (NZV 2010, 263) muss diese Abwägung jedenfalls in Ordnungswidrigkeitenverfahren zugunsten eines Verwertungsverbots ausfallen, da es sich dabei lediglich um die Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten handelt, bei denen, anders als im Strafrecht, der Opportunitätsgrundsatz gilt. Das BVerfG (DAR 2011, 457) hält aber auch die gegenteilige Auffassung für vertretbar.
Rz. 11
Achtung: Widerspruch erforderlich
Die Nichtbeachtung eines bestehenden Verwertungsverbots kann in der Revisionsinstanz nur dann geltend gemacht werden, wenn der Verteidiger der Verwertung der Videomessung bzw. des Messbildes zu Protokoll widersprochen hat und im Einzelnen darlegt, welche Fehler gemacht worden sein sollen (BGH NJW 2007, 3587; NJW 2008, 307).
Rz. 12
Die vorgenannten Fragen stellen sich allerdings in jüngster Zeit deshalb nicht mehr mit der gleichen Schärfe, weil moderne Abstandsmessgeräte mit mindestens zwei Kameras arbeiten, nämlich einer "Brückenkamera", die zunächst lediglich Übersichtsaufnahmen fertigt, auf denen weder Fahrer noch Kennzeichen zu erkennen sind, und einer zweiten Kamera, die zwar Fahrer und Kfz-Kennzeichen erkennen lässt, aber erst gestartet wird, wenn die Übersichtsaufnahme einen konkreten Verdacht gegen den Fahrer ergeben hat."
Gegen ein solches Messverfahren bestehen keine Bedenken, so dass sich bei ihnen nicht einmal mehr die Frage eines Beweiserhebungsverbots stellt (OLG Bamberg DAR 2010, 26; OLG Jena DAR 2011, 474).
3. Standardisiertes Messverfahren?
Rz. 13
Die überwiegende Rechtsprechung überträgt die BGH-Rechtsprechung zur Geschwindigkeitsüberschreitung entsprechend auch auf Brückenmessverfahren und sieht diese als standardisierte Verfahren an (OLG Dresden DAR 2005, 637; OLG Bamberg NZV 2010, 369), zumindest beim Einsatz von VAMA unter Verwendung eines Charaktergenerators P50E oder des Messsystems VKS 3.1 (OLG Bamberg, DAR 2012, 268).
Für folgende Messverfahren ist dies ausdrücklich bereits entschieden:
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Poliscan (KG VRS 118, 366), |
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Traffiphot-S (OLG Rostock VRS 120, 25), |
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ViBrAM-BAMAS (OLG Karlsruhe NStZ - RR 2011, 61), |
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VKS (OLG Karlsruhe zfs 2016, 531), |
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VAM (OLG Saarbrücken VRS 118, 268). |
Rz. 14
Das OLG Hamm (zfs 2009, 470) behandelt das Brückenmessverfahren dagegen aus dem Grund nicht als standardisiertes Verfahren, dass hier die Abstände - anders als bei der Geschwindigkeitsmessung - nicht elektronisch vom Gerät ermittelt, sondern unter Auswertung des Videobandes erst errechnet werden müssen.