Dr. iur. Artur-Konrad Wypych
Rz. 8
Der Arbeitgeber ist gesetzlich zum Schutz seiner Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit verpflichtet (§§ 618, 619 BGB). Die Fürsorgepflicht wird durch die Spezialnormen des Arbeitsschutzrechtes konkretisiert und i.d.R. überlagert. "§ 618 BGB transformiert m.a.W. die Schutzpflichten des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes in das Arbeitsvertragsrecht" (MüKo-BGB/Henssler, § 618 Rn 9). Eine analoge Anwendung erfolgt für dienstvertragsähnliche Werkverträge und Auftragsverhältnisse (BGH v. 9.2.1955 – VI ZR 286/53). Der Arbeitnehmer hat insoweit einen persönlichen Erfüllungsanspruch auf Herstellung eines arbeitsschutzkonformen Zustandes, den er erforderlichenfalls vor dem ArbG geltend machen kann (Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Waas/Palonka, a.a.O., Rn 15 zu § 618; Kollmer, NJW 1997, 2018). In dogmatischer Hinsicht ist der Erfüllungsanspruch Bestandteil des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs, z.T. wird die Entstehung des Erfüllungsanspruchs auch unabhängig vom allgemeinen Beschäftigungsanspruch gesehen (vgl. Kohte/Faber/Feldhoff, a.a.O., Rn 47 ff. zu § 618 m.w.N.). Neben den Erfüllungsanspruch kann ein verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch gem. §§ 823, 1004 BGB analog sowie ein Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung gem. § 273 Abs. 1 BGB treten (vgl. dazu ausführlich § 21 Rdn 1040 ff.).
Rz. 9
Die Verpflichtung des Arbeitgebers zu Schutzmaßnahmen in § 618 Abs. 1 BGB besteht im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und reicht soweit, wie "die Natur der Dienstleistung es gestattet". Sie umfasst nicht nur die Regelung des Umganges mit der technischen Ausrüstung des Arbeitsplatzes, sondern erfordert auch die sonstigen Anordnungen des Arbeitgebers zur Vermeidung von Gefahren für Gesundheit und Leben des Arbeitnehmers. Beispielhaft für den Inhalt dieser Schutzpflichten ist die Beschaffungspflicht des Arbeitgebers für benötigte Materialien, Gerätschaften oder Schutzkleidung (vgl. dazu ausführlich Kohte/Faber/Feldhoff, a.a.O., Rn 30 ff. zu § 618 BGB), die Festlegung einer den gesetzlichen Regelungen entsprechenden Arbeitszeit (vgl. BAG v. 16.3.2004 – 9 AZR 93/03, ausführlich Staudinger, a.a.O., Rn 20 zu § 618) oder die Sicherstellung einer regelmäßigen Reinigung des Arbeitsplatzes (LAG Rheinland-Pfalz v. 19.12.2008 – 9 Sa 427/08).
Rz. 10
In einer besonderen Gefährdungslage, wie z.B. einer pandemischen Lage, können sich für den Arbeitgeber weitergehende Schutzpflichten ergeben. Besondere Bedeutung erlangte dies in der Corona-Pandemie seit März 2020. Arbeitnehmer haben in einer solchen Lage einen besonderen Anspruch auf Infektionsschutz sowie Infektionsprävention. Dabei wirkt § 618 Abs. 1 BGB mit § 2 Abs. 1 ArbSchG sowie entsprechenden Verordnungen (beispielhaft: Corona-ArbSchVO) und Regeln der Technik und Hygiene (§ 4 Nr. 3 ArbSchG) zusammen (vgl. Kollmer/Klindt, a.a.O., Rn 147 vor § 1). Hiernach kann die Verpflichtung erwachsen, z.B. ein Hygienekonzept zu entwickeln, eine Maskenpflicht am Arbeitsplatz einzuführen, das Zutrittsrecht für Dritte oder (ungeimpfte) Arbeitnehmer zum Betrieb einzuschränken oder entsprechende Testkapazitäten zur Verfügung zu stellen oder gar den Betrieb aus Gründen des Infektionsschutzes vollständig zu schließen. Dies stellt für den Arbeitgeber aufgrund der damit einhergehenden Einkommenseinbußen das letzte Mittel, ultima ratio dar. Diese außergewöhnlich weitreichenden Schutzpflichten des Arbeitgebers sind situationsabhängig und unterliegen einer dynamischen Entwicklung und regelmäßigen Überprüfung ihrer Notwendigkeit.
Rz. 11
Die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen konkretisieren die aus § 618 BGB folgende Organisationspflicht des Arbeitgebers. So wird der Arbeitgeber durch das ArbSchG konkret verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen (§ 3 Abs. 1 ArbSchG). § 618 Abs. 1 BGB wird insofern durch zahlreiche fachgesetzliche Spezialregelungen verdrängt, wie sie sich z.B. aus dem JArbSchG, MuSchG oder ASiG ergeben.
Rz. 12
In der Betriebspraxis ist zu beachten, dass der Wirkungsbereich des ArbSchG wesentlich weiter reicht als der dieser Fachgesetze. Als "Betrieb" i.S.d. Gesetzes gelten auch Dienststellen der öffentlichen Verwaltung, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, Bundeswehr, Justiz usw. Zu den "Beschäftigten" i.S.d. ArbSchG gehören neben Arbeitnehmern Auszubildende, arbeitnehmerähnliche Personen gem. § 5 Abs. 1 ArbGG ebenso, wie Beamte, Richter und Soldaten (§ 2 ArbSchG). Dieses Rahmengesetz gilt räumlich für Arbeitsplätze in Deutschland, unabhängig von Nationalität und Sitz des Arbeitgebers bzw. Unternehmens. Umfasst sind auch ausländische Arbeitnehmer, die von ihrem ausländischen Arbeitgeber nach Deutschland entsandt werden, was durch das Arbeitnehmer Entsendegesetz (ArbEntG) nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Für Hausangestellte gilt das ArbSchG nicht, für Beschäftigte auf Seeschiffen und in dem Bundesb...