Rz. 47
Ein Beurkundungserfordernis kann sich ferner bei einem einheitlichen Rechtsgeschäft ergeben. Ein einheitliches Rechtsgeschäft ist anzunehmen, wenn ersichtlich ist, dass die Parteien mehrere an sich selbstständige Vereinbarungen "miteinander stehen und fallen" lassen wollen. Werden in einem solchen Fall nicht sämtliche Abreden beurkundet, sind beide Vereinbarungen wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit beider Rechtsgeschäfte nichtig (§§ 125 Satz 1, 139 BGB; vgl. zu den Möglichkeiten einer Heilung unten Rdn 52). Einer der Verträge ist nur ausnahmsweise dann formlos wirksam, wenn anzunehmen ist, dass die Vertragsparteien den Vertrag auch ohne den anderen Vertrag geschlossen hätten.
Rz. 48
Besondere Vorsicht ist hinsichtlich der Formbedürftigkeit von Nebenabreden (sog. Side Letter) geboten. Side Letter ergänzen in der Praxis mitunter Unternehmenskaufverträge oder sonstige beurkundungsbedürftige Vereinbarungen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Häufig handelt es sich um Aussagen oder Erläuterungen zum Verständnis oder zur Auslegung bestimmter Regelungen des Unternehmenskaufvertrages, aber auch um inhaltliche Nebenabreden und Zusatzvereinbarungen. Mitunter verbirgt sich hinter Side Lettern auch das Motiv einer Vertragspartei, bestimmte Regelungen ihrer Gesamtvereinbarung Dritten ggü. nicht zugänglich machen zu wollen, ohne deshalb den Inhalt des Hauptvertrages zurückhalten zu müssen. Dass eine solche Handhabung mit Vorsicht zu genießen ist, liegt auf der Hand, weil Dritte (z.B. Behörden) einen Anspruch auf Offenlegung der vollständigen Vereinbarungen haben können, der dadurch unterlaufen wird. Zwei Themenkreise sind in der Praxis von Bedeutung:
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zum einen das Beurkundungserfordernis für die Gesamtvereinbarung und |
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zum anderen die Frage, ob bei einer derartigen Gestaltung beide Urkunden aufeinander Bezug nehmen müssen. |
Rz. 49
Bedarf der Kauf- und Übertragungsvertrag der notariellen Beurkundung, etwa nach § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG, ist eine notarielle Beurkundung auch des Side Letters erforderlich, sofern dieser rechtlich bindende Regelungen wie Nebenabreden, Ergänzungen und Zusatzvereinbarungen enthält und diese Regelungen nicht nur klarstellende Bedeutung haben. Wird ein solcher Side Letter bewusst oder unbewusst nicht mitbeurkundet, ist das gesamte obligatorische Rechtsgeschäft nichtig (§§ 125 Satz 1, 139 BGB).
Hinweis
Sofern rechtlich verbindende Regelungen in einem Side Letter enthalten sind, empfiehlt sich die notarielle Beurkundung eines solchen Side Letters, um eine Unwirksamkeit des gesamten Vertragswerkes zu vermeiden.
Rz. 50
Weitaus kritischer ist aus Sicht der Vertragsparteien, wie die Beurkundung bei einem Side Letter technisch zu gestalten ist, wenn die Haupturkunde (z.B. der Unternehmenskaufvertrag) gleichzeitig mit dem Side Letter errichtet wird. Unproblematisch ist i.d.R. eine Bezugnahme im Side Letter auf den Inhalt des vorangehenden Hauptvertrages (§ 13a BeurkG). Dem Ziel einer vertraulichen Behandlung des Side Letters liefe es allerdings zuwider, wenn auch die Haupturkunde eine Verweisung auf den (nachfolgend beurkundeten) Side Letter enthalten müsste, was umgekehrt aus der Sicht des Rechtsverkehrs wünschenswert ist, um eine vollständige Offenlegung einheitlicher Rechtsgeschäfte zu gewährleisten.
In Rspr. und Schrifttum wird dieser Fall, soweit ersichtlich, nicht ausdrücklich behandelt. In einzelnen Stellungnahmen heißt es, ein Rechtsgeschäft, das in mehreren Urkunden enthalten sei, müsse in beiden Urkunden eine wechselseitige Bezugnahme enthalten, wenn nicht eindeutig erkennbar sei, dass das andere Schriftstück eine bloße Anlage ist. Die notarielle Praxis ist zu einem Großteil dazu übergegangen, die wechselseitige Bezugnahme jedenfalls dann zu verlangen, wenn die Urkunden vor demselben Notar zeitlich unmittelbar aufeinanderfolgend beurkundet werden.