Rz. 625

Gem. § 1361b BGB kann jeder Ehegatte die teilweise oder vollständige Zuweisung der Ehewohnung an sich verlangen. Ein solcher Antrag setzt nicht voraus, dass die Ehegatten bereits getrennt voneinander leben; er ist bereits zulässig, wenn ein Ehegatte beabsichtigt, sich von dem anderen zu trennen.

 

Rz. 626

Voraussetzung für die Zuweisung der Ehewohnung ist die Vermeidung einer unbilligen Härte. Eine "unbillige Härte" i.S.v. § 1361b Abs. 1 BGB ist anzunehmen, wenn auf Dauer angelegte und in ihrer Anhäufung erhebliche ehezerstörerische Vorkommnisse vorliegen, die über die zum regelmäßigen Erscheinungsbild einer zerrütteten Ehe gehörenden Belästigungen hinausgehen. So stellen z.B. wiederholte Besuche der neuen Lebensgefährtin des Ehemannes, teilweise auch über Nacht, zumindest in einer beengten Wohnsituation eine unbillige Härte im Sinne des § 1361b Abs. 1 BGB dar.[381] Steht die Wohnung hingegen im Eigentum des Ehegatten, der die Wohnungszuweisung begehrt, führt dies in der Regel dazu, dass die an das Vorliegen einer unbilligen Härte zu stellenden Anforderungen herabzusetzen sind.[382]

 

Rz. 627

Eine unbillige Härte kann auch dann gegeben sein, wenn das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist (§ 1361b Abs. 1 S. 2 BGB). Eine Alleinzuweisung der Ehewohnung an die kinderbetreuende Ehefrau aus Gründen des Kindeswohls kommt auch dann in Betracht, wenn eine Gewaltanwendung durch den Ehemann nicht nachgewiesen werden kann. Insofern reicht es aus, wenn es zwischen den Ehegatten/Eltern gravierende Auseinandersetzungen gegeben hat und ein "Klima der Gewalt" vorherrschte. Die Bedürfnisse der Kinder an einer geordneten, ruhigen und möglichst entspannten Familiensituation haben Vorrang vor dem Interesse des Ehemanns an dem Verbleib in der Wohnung.[383]

 

Rz. 628

Gem. § 1361b Abs. 2 BGB ist in der Regel die gesamte Wohnung zur alleinigen Nutzung zuzuweisen, wenn der Ehegatte, gegen den sich der Antrag richtet, gegen den anderen Ehegatten gewalttätig geworden ist oder ihn nicht unerheblich bedroht hat. In diesen Fällen ist eine Zuweisung der Ehewohnung nur dann ausgeschlossen, wenn keine weiteren Taten zu erwarten sind. Die Beweislast liegt hier bei dem Ehegatten, dem die Gewalttaten vorgeworfen werden.

 

Rz. 629

§ 1361b Abs. 3 BGB gibt dem zur Wohnungsüberlassung Verpflichteten auf, sich jeglicher Maßnahmen zu enthalten, die das Benutzungsrecht des anderen Ehegatten vereiteln könnte. Bisher gingen der Gesetzgeber[384] und ihm folgend die Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass das Gericht über den in Verfahren nach § 1361b BGB anwendbaren § 15 Hausratsverordnung flankierende Anordnungen treffen konnte, um diese Verpflichtung durchzusetzen. Dazu sollten beispielsweise Verbote wie ein die Ehewohnung betreffendes Mietverhältnis zu kündigen oder gar die Ehewohnung zu veräußern, durch das Gericht erlassen werden können. Derartige Anordnungen kann das Gericht zukünftig gem. § 209 Abs. 1 FamFG treffen.

 

Rz. 630

§ 1361b Abs. 3 S. 2 BGB gibt dem weichenden Ehegatten einen Anspruch auf Nutzungsentschädigung gegen den in der Ehewohnung verbleibenden Ehegatten, soweit dies der Billigkeit entspricht. Der Vergütungsanspruch wird in der Regel nur bei dinglicher Berechtigung an der Wohnung (Allein- oder Miteigentum) geltend gemacht, kann aber auch bei einem Mietverhältnis in Betracht kommen.[385] Bei der Festlegung der Höhe der Nutzungsentschädigung ist neben dem Mietwert der Wohnung zu berücksichtigen, wer möglicherweise die Zins- und Tilgungsleistungen beziehungsweise die verbrauchsunabhängigen Nebenkosten für die Wohnung trägt. Ferner kann es zu Konkurrenzen mit der Ermittlung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens kommen, wenn beispielsweise der Wohnwert dem nutzungsberechtigten Ehegatten dort bereits als fiktives Einkommen zugerechnet wurde, in derartigen Fällen ist keine weitere Nutzungsentschädigung festzusetzen.

 

Rz. 631

Nach der inzwischen wohl h.M.[386] kann auch der freiwillig weichende Ehegatte von dem in der Wohnung verbleibenden Ehegatten gem. § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB eine Nutzungsentschädigung verlangen.

 

Rz. 632

Oftmals übersehen wird die Regelung in § 1361b Abs. 4 BGB, wonach unwiderlegbar vermutet wird, dass der Ehegatte, der nach der Trennung der Ehegatten die Ehewohnung verlassen hat und nicht binnen sechs Monaten eine ernstliche Rückkehrabsicht bekannt gibt, dem anderen Ehegatten die Ehewohnung zur alleinigen Nutzung überlassen hat. Dies gilt jedoch nur für die Zeit des Getrenntlebens und hat keine Auswirkungen auf die nach Rechtskraft der Scheidung endgültig zu regelnden Nutzungsverhältnisse.[387]

[381] OLG Hamm FamRZ 2016, 1082.
[382] OLG Düsseldorf NZFam 2016, 764.
[384] BT-Drucks 14/5429 S. 21; BT-Drucks 14/5429 S. 33.
[385] KG Berlin FamRZ 2015, 1191.
[386] Vgl. OLG Hamm FamRZ 2008, 1935, mit weiteren Nachweisen zum Streitstand.
[387] OLG Brandenburg FamRZ 2015, 1498.

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