Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 309
Abänderungen von Vergleichen, Eheverträgen, Scheidungsfolgenregelungen und vollstreckbaren Urkunden bestimmen sich allein nach den Regeln des materiellen Rechts. Maßgeblich sind die Grundsätze über die Veränderung oder den Fortfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), die eine Anpassung rechtfertigen, wenn es einem Beteiligten nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann, an der bisherigen Regelung festgehalten zu werden.
Rz. 310
Unter der Geschäftsgrundlage versteht man bestimmte Vorstellungen der Parteien über das Vorhandensein von Umständen, die bei beiden Parteien bestanden haben und für die Willensbildung von so grundlegender Bedeutung waren, dass sie, redliche Denkungsweise vorausgesetzt, ohne diese Vorstellungen den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätten.
Rz. 311
Haben die Beteiligten beim Vertragsschluss einen relevanten Aspekt wie z.B. den vorhandenen Wohnvorteil nur deswegen außer Acht gelassen, weil keinem der Beteiligten die unterhaltsrechtliche Relevanz bekannt war, beruht diese Nichtberücksichtigung auf einer beiderseitigen Fehlvorstellung. Dieser Fall wird von der Definition der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB erfasst. Hier lag ein gemeinsamer Irrtum über die unterhaltsrechtliche Relevanz dieses Aspektes vor. Hatten sie gewusst, dass er sich auf die Unterhaltshöhe auswirkt, hatten sie ihn bei redlicher Denkungsweise bei der Unterhaltsberechnung berücksichtigt und den Unterhalt unter dessen Einbeziehung vereinbart.
Rz. 312
Keine Anpassung ist dagegen vorzunehmen, wenn bei der Unterhaltsvereinbarung unterhaltsrechtlich relevante Umstände nicht berücksichtigt, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nur einer Partei vorlagen, aber von der betroffenen Partei nicht geltend gemacht wurden. Wenn z.B. bei Abschluss eines Prozessvergleichs der unterhaltspflichtige M es versäumt hat, eine eheprägende Verbindlichkeit zu erwähnen, die er nach wie vor bedient und der unterhaltsberechtigten F diese Verbindlichkeit nicht bewusst war, liegt keine Störung der Geschäftsgrundlage vor. Denn diese setzt voraus, dass Vorstellungen und Erwartungen beider Vertragsparteien fehlgegangen sind und nicht nur diejenigen eines Vertragspartners. Waren sich nicht beide Beteiligte des Bestehens der Verbindlichkeit bei Abschluss der Unterhaltsvereinbarung bewusst oder steht nicht fest, dass für die F wenigstens ein diesbezüglicher Bewusstseinsstand des M erkennbar geworden ist, liegen die Voraussetzungen einer Geschäftsgrundlage nicht vor. Das Bestehen der Verbindlichkeit stellt damit keinen Abänderungsgrund dar.
Rz. 313
Der Geschäftswille der Parteien baute regelmäßig auf der gemeinsamen Erwartung vom Fortbestand der bestehenden Rechtslage auf.
Rz. 314
Bei der Anpassung darf nicht nur darauf abgestellt werden, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint; vielmehr muss das Abgehen vom Vereinbarten auch der anderen Partei zugemutet werden können. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Unterhaltsvereinbarung vielfach in eine Gesamtregelung der Ehegatten eingebunden ist und nicht isoliert betrachtet werden kann.