Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 223
Unterhalt ist auf regelmäßig wiederkehrende Leistung (§ 258 ZPO) und damit in die Zukunft gerichtet. Es ist jedoch ein Gebot der materiellen Gerechtigkeit, diese Titel dann anpassen zu können, wenn sich die spätere – tatsächliche – Entwicklung wesentlich von der früheren vorgestellten Prognose unterscheidet.
I. Zulässigkeit des Abänderungsantrages
Rz. 224
Ein Abänderungsantrag ist zulässig, wenn der Antragsteller Tatsachen vorträgt, nach denen eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse eines fortbestehenden Titels vorliegt.
Praxistipp:
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Ob tatsächlich eine Veränderung vorliegt, ist erst eine Frage der Begründetheit. |
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Der Anwalt Antragstellers muss insbesondere dann, wenn er am Vorverfahren nicht beteiligt war, in die Gerichtsakten des vorangegangenen Verfahrens Einsicht nehmen, wenn die Unterlagen des Mandanten nicht ausreichen. |
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Ein Beweisangebot "Beiziehung des Verfahrens des AG" ist ohne gleichzeitigen schlüssigen Vortrag nicht ausreichend, denn es liegt ein unzulässiger um einen Ausforschungsbeweis vor. |
II. Abänderung gerichtlicher Titel, § 238 FamFG
Rz. 225
Die gesetzliche Möglichkeit einer Abänderung von gerichtlichen Unterhaltsregelungen ist die Folge der verfahrensrechtlichen Besonderheit solcher Regelungen. Im Prinzip erwächst jede gerichtliche Entscheidung in Rechtskraft und soll daher aus Gründen der Rechtssicherheit später nicht mehr angegriffen und geändert werden können. Unterhaltsregelungen wirken aber über einen langen – und in der Regel nicht ausdrücklich begrenzten – Zeitraum fort, so dass die getroffene Entscheidung im Laufe der Zeit durchaus "ungerecht" werden kann. Aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit muss es also unter bestimmten Voraussetzungen Möglichkeiten geben, die aus dem Verfahrensrecht abgeleitete Rechtskraftbindung zu überwinden.
1. Wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage
Rz. 226
Ein gerichtlicher Titel über Unterhalt kann gem. § 238 FamFG abgeändert werden, wenn eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eingetreten ist, die Grundlage der damaligen Entscheidung waren.
Die schlüssige Behauptung einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse ist zwingende Voraussetzung schon für die Zulässigkeit des Abänderungsantrags. Der Beteiligte muss also Tatsachen vortragen, die – ihr Vorliegen unterstellt – eine wesentliche Veränderung derjenigen Verhältnisse ergeben, die für Höhe und Dauer der zuerkannten Unterhaltsleistung maßgebend waren.
Rz. 227
Praxistipp:
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Sehr häufig fehlt die Schlüssigkeit schon deshalb, weil der Abänderungsantragsteller einseitig vorträgt, sich also z.B. nur mit der Leistungsfähigkeit des Schuldners befasst, aber nichts zur eigenen Bedürftigkeit vorträgt. Bei einem solchen Vorgehen wird verkannt, dass nur im Wege einer Gesamtschau über die Notwendigkeit einer Abänderung entschieden werden kann. |
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Ob tatsächlich Umstände vorliegen, die die begehrte Abänderung rechtfertigen, ist dagegen eine Frage der Begründetheit. Wird die wesentliche Änderung also schlüssig behauptet, kann sie dann aber nicht bewiesen werden oder erweist sie sich als falsch, dann ist der Antrag als unbegründet zurückzuweisen. |
Rz. 228
Der Antrag kann nur auf Gründe gestützt werden, die nach Schluss der Tatsachenverhandlung des vorausgegangenen Verfahrens entstanden sind und deren Geltendmachung durch Einspruch nicht möglich ist oder war. Andernfalls liegt nicht die vom Gesetz geforderte Änderung vor.
Rz. 229
Das Abänderungsbegehren kann nach § 238 Abs. 2 FamFG nur auf solche Gründe gestützt werden, die zu einem Zeitpunkt entstanden sind, der erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung liegt, in welcher sie hätten vorgebracht werden müssen oder durch einen Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können (sog. Präklusion).
Rz. 230
Eine Präklusion tritt ein, sofern im Erstverfahren beim Abänderungsantragsteller bestimmte Einkommensarten wie Wohnvorteil, Kapitaleinkünfte, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Gegners nicht berücksichtigt worden sind oder wenn schon im Vorverfahren tatsächlich bestehende höhere Fahrtkosten mangels Mitteilung nicht in vollem Umfange angesetzt worden sind. Weiter tritt eine Präklusion ein, wenn im Erstverfahren ein zu hohes Einkommen angesetzt worden ist oder der Vorwurf der ungenügenden Erfüllung der Erwerbsobliegenheit eines früheren Ehegatten durch den Unterhaltspflichtigen nicht beanstandet wurde.
Rz. 231
Nicht jede geringfügige Änderung rechtfertigt die Durchbrechung der Rechtskraft. Eine wesentliche Änderung liegt immer dann vor, wenn sich Abweichungen in Höhe von mindestens 10 % ergeben. Dabei ist nicht auf die einzelne veränderte Tatsache abzustellen, maßgeblich ist vielmehr, dass der neue Unterhaltsanspruch um 10 % von dem titulierten Unterhaltsanspruch nach oben oder nach unten abweicht. Jedoch gibt es keine schematische Grenze, so dass gerade bei beengteren Einkommensverhältnissen auch geringere Abweichungen ausreichen können.
Diese in der Praxis häufig angenommene Grenze von 10 % stellen nur einen Richtwert dar. Dieser Richtwert ist zu unterschreiten, weil die Erhöhung eines Unterhaltsbedarfssa...