Dr. Wolfgang Kürschner, Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 19
Aufrechnung ist die einseitige, empfangsbedürftige und grundsätzlich bedingungsfeindliche Willenserklärung des Schuldners, die zur wechselseitigen Tilgung zweier sich gegenüberstehender Forderungen führt. Voraussetzungen der Aufrechnung sind Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen, § 387 BGB. Die Gegenforderung muss voll wirksam und fällig sein, die Hauptforderung erfüllbar. Erst wenn der Schuldner die Aufrechnung erklärt und damit über die eigene Forderung verfügt, tritt Erfüllungswirkung ein, indem die sich gegenüberstehenden Forderungen erlöschen, soweit sie sich decken.
Rz. 20
Von der Aufrechnung ist die Anrechnung zu unterscheiden, bei der es lediglich um die Ermittlung der Anspruchshöhe geht; bei ihr werden unselbstständige Rechnungsposten in Abzug gebracht, wie beispielsweise bei der Schadensermittlung nach der Differenztheorie (vgl. dazu § 12 Rdn 5 ff.) und der Vorteilsausgleichung (vgl. dazu § 19). Die Anrechnung findet von Amts wegen statt, Aufrechnungsverbote sind weder direkt noch analog anwendbar.
Rz. 21
Die Aufrechnung kann vertraglich oder gesetzlich ausgeschlossen sein. Gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ist gem. § 393 BGB die Aufrechnung nicht zulässig. Dagegen steht es dem Geschädigten frei, seinerseits selbst mit seiner Schadensersatzforderung gegen eine Forderung des Schädigers aufzurechnen.
Rz. 22
Soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen ist, findet nach § 394 S. 1 BGB die Aufrechnung gegen die Forderung nicht statt. Die Vorschrift bezieht sich im Wesentlichen auf die Pfändungsverbote nach den §§ 850 ff. ZPO. Aufrechnungsverbote sind im Beamtenrecht (vgl. z.B. § 51 Abs. 2 S. 1 BeamtVG) und im Sozialgesetzbuch enthalten (§ 51 SGB I). In diesem Umfang besteht zugleich ein Verbot der Aufrechnung (und außerdem nach § 400 BGB ein Verbot der Abtretung der Forderung). § 394 BGB ist indessen nicht umkehrbar: Der Ausschluss der Aufrechnung bewirkt nicht zugleich ein Pfändungsverbot, mithin auch kein Abtretungsverbot.
Rz. 23
Unpfändbar sind gem. § 850b Nr. 1 ZPO beispielsweise Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind, nach Nr. 2 Unterhaltsrenten, die auf gesetzlicher Vorschrift beruhen, sowie die wegen Entziehung einer solchen Forderung zu entrichtenden Renten. Unter Nr. 1 fallen wiederkehrende Geldleistungen, die bei Invalidität gezahlt werden, insbesondere Haftpflichtrenten aufgrund gesetzlicher Vorschriften, Geldrenten nach § 843 BGB wegen Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, Geldrenten nach § 8 HPflG, § 13 StVG, § 38 LuftVG, § 30 AtomG, aber auch Unfall- und Invaliditätsrenten, die auf vertraglicher Grundlage gewährt werden. Geschützt sind auch rückständige und daher in einer Summe zu zahlende Rentenbeträge. Keine Anwendung findet Nr. 1 jedoch auf Kapitalabfindungen, die anstelle von Schadensersatzrenten vereinbart werden. Sie sind unbeschränkt pfändbar. Sozialversicherungsrenten und Renten nach dem BVersG und hierauf bezugnehmenden Gesetzen gehören nicht hierher.
Rz. 24
Wird einem Verletzten eine Rente zugebilligt und verlangt der Schädiger Verrechnung mit bereits geleisteten Zahlungen, so ergeben sich insoweit keine Bedenken wegen des Aufrechnungsverbotes aus § 850b ZPO in Verbindung mit § 394 BGB, da keine Aufrechnung, sondern der Einwand der Erfüllung geltend gemacht wird. Eine Kostenforderung aus dem Prozess selbst kann nicht gegen Rentenansprüche aufgerechnet werden, auch nicht, soweit es sich um bereits fällige Renten aus der Zeit zwischen Unfall und Urteil handelt. Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts ist unzulässig, wenn dadurch lediglich das Verbot der Aufrechnung umgangen werden soll. Eine Aufrechnung von Prozesskostenforderungen gegenüber Befreiungsansprüchen ist insoweit zulässig, als die Forderung in Wirklichkeit dem Verletzten zusteht. Maßgeblich ist die Forderungsinhaberschaft bei Klageerhebung, § 265 Abs. 1 ZPO.
Rz. 25
Der nach dem Tod eines (nach dem BEG) Entschädigungsberechtigten gegen dessen Erben geltend gemachte Rückforderungsanspruch des Entschädigungspflichtigen kann in der Regel nicht gegen einen Rentenanspruch aufgerechnet werden, der dem Erben aus eigenem Recht zusteht. Zwar ist der aus § 394 S. 1 BGB in Verbindung mit §§ 811 ff., 850 ff. ZPO gewährleistete Sozialschutz, dem innerhalb der Rechtsordnung beträchtliches Gewicht zukommt, nicht grenzenlos, insbesondere können ihm Billigkeits- und Redlichkeitserwägungen entgegenstehen. Eine Berufung auf das Aufrechnungsverbot des § 394 S. 1 BGB ist jedoch nur dann treuwidrig, wenn der Gläubiger der unpfändbaren Forderung im Rahmen eines einheitlichen Lebensverhältnisses, vor allem eines Unterhalts-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses schadensersatzpflichtig geworden ist. Liegt ein solches Verhältnis nicht vor, hat insbesondere der Schuldner der Forderung, mit der aufgerechnet werden soll, sich nicht im Rahmen eines solchen Lebensverhältnisses schadensersatzpflichtig gemacht, ka...