Dr. Wolfgang Kürschner, Prof. Dr. Günther Schneider
A. Erfüllung
I. Überblick
Rz. 1
Der Dritte Abschnitt des Zweiten Buches des BGB behandelt das "Erlöschen der Schuldverhältnisse": Die Erfüllung (§§ 362–371 BGB; vgl. dazu Rdn 2 ff.), die Erfüllungssurrogate Hinterlegung (§§ 372–386 BGB; vgl. dazu Rdn 18) und Aufrechnung (§§ 387–396 BGB; vgl. dazu Rdn 19 ff.) sowie den Erlass (§ 397 BGB; vgl. dazu § 23 Rdn 21 ff.). Gemeint ist nicht das Schuldverhältnis im weiteren Sinne, sondern das Schuldverhältnis hinsichtlich der einzelnen Forderung, also der Anspruch (§ 194 Abs. 1 BGB). Die Erlöschenstatbestände haben aber auch Folgen für das Schuldverhältnis im weiteren Sinne: Dieses endet (erst), wenn alle Leistungspflichten einschließlich etwaiger Ersatz- und Abwicklungspflichten erfüllt oder sonst erledigt sind.
Rz. 2
Erfüllung tritt gem. § 362 Abs. 1 BGB ein, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird, wobei es nicht bloß auf die Leistungshandlung, sondern auf den Eintritt des Leistungserfolges ankommt. Nach der heute maßgebenden Theorie der realen Leistungsbewirkung tritt Erfüllung als objektive Tatbestandsfolge der Leistung ein; der Tatbestand beinhaltet kein subjektives Merkmal. Die Erfüllung als solche ist kein Rechtsgeschäft. Der Einwand der Erfüllung mit der Folge des Erlöschens im Sinne der §§ 362 ff. BGB ist keine bloße Einrede, sondern eine – mithin von Amts wegen zu prüfende – rechtsvernichtende Einwendung. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Schuldner. Seinem Bedürfnis, zuverlässig das Erlöschen der Forderung beweisen zu können, trägt das Gesetz in § 368 BGB dadurch Rechnung, dass es dem Schuldner einen Anspruch gegen den Gläubiger auf Erteilung eines schriftlichen Empfangsbekenntnisses (Quittung) gewährt. Verweigert der Gläubiger die vom Schuldner verlangte Quittung, steht dem Schuldner ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB) zu.
II. Leistung durch bzw. an Dritte/Einzugsermächtigung/Inkassozession
Rz. 3
Die Leistung kann auch durch Dritte für den Schuldner bewirkt werden, wenn dieser nicht ausnahmsweise kraft Vereinbarung in eigener Person zu leisten hat. Leistungsempfänger muss grundsätzlich der Gläubiger selbst sein; nur in einzelnen, vom Gesetz vorgesehenen Fällen (der Ermächtigung oder des Gutglaubensschutzes) befreit eine an einen Nichtgläubiger vorgenommene Leistung. So hat die Leistung an einen Dritten befreiende Wirkung, wenn er vom Gläubiger zur Entgegennahme der Leistung ermächtigt ist, wobei auch eine nachträgliche Genehmigung ausreicht, § 362 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 185 BGB. Gemäß § 370 BGB gilt der Überbringer einer Quittung als ermächtigt, die Leistung zu empfangen, sofern nicht der Leistende bösgläubig ist. Es gibt Situationen, in denen die Leistung an den Gläubiger selbst nicht befreiend wirkt, weil diesem die Empfangszuständigkeit fehlt. So kann beispielsweise an Geschäftsunfähige und beschränkt Geschäftsfähige ohne Einwilligung der gesetzlichen Vertreter nicht befreiend geleistet werden; entsprechendes gilt für Personen im Falle ihrer Insolvenz (vgl. § 80 InsO). Der bisherige Gläubiger (Zedent) kann seine Forderung gem. § 398 BGB an einen neuen Gläubiger (Zessionar) abtreten, es sei denn, die Abtretung (Zession) ist ausgeschlossen wie in den Fällen der §§ 399, 400 BGB. Zur geschäftsmäßigen Unfallschadensabwicklung und den Grenzen, die insbesondere durch das Rechtsdienstleistungsgesetz gesetzt sind, wird auf die Ausführungen in § 14 Rdn 138, 175 verwiesen.
Rz. 4
Im Falle der Sicherungsabtretung erwirbt der Sicherungsnehmer im Außenverhältnis die volle Gläubigerstellung, ist aber im Innenverhältnis nach Maßgabe der bestehenden Sicherungsabrede gebunden. Die Inkassozession ist ähnlich der Sicherungsabtretung ein fiduziarisches Rechtsverhältnis. Das fiduziarische Verhältnis besteht jeweils darin, dass hinsichtlich der Rechtszuordnung der Forderung ein Gläubigerwechsel eintritt. Der Zessionar hat im Außenverhältnis die volle Gläubigerstellung inne, ist bei der Inkassozession im Innenverhältnis aber zur Einziehung der Forderung und zur Abführung des Erlöses an den Zedenten verpflichtet.
Rz. 5
Die Einziehungsermächtigung stellt lediglich die Übertragung eines "Forderungsausschnittes", das heißt einer der Befugnisse des Gläubigers dar, der im Übrigen selbst Forderungsinhaber bleibt. Der zur Einziehung Ermächtigte soll die fremde Forderung im eigenen Namen geltend machen können, der Altgläubiger aber auch rechtlich Inhaber der Forderung bleiben. Wird ein Schadensersatzbetrag von einem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer entgegen der ausdrücklichen Aufforderung des (verschuldeten) Rechtsanwalts auf dessen Konto statt auf das von diesem angegebene Konto des Geschädigten überwiesen, so tritt keine Erfüllungswirkung ein. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt zur Entgegennahme von Zahlungen bevollmächtigt...