1. Der Mangel an Erfahrung
Rz. 11
Die Nachfolgeentscheidung ist von großer Tragweite, und sie ist immer mit Unsicherheit verbunden. Das verlangt gleichermaßen Vorsicht und Mut. Das allein könnte erklären, dass die Unternehmensnachfolge häufig durch Widersprüchlichkeiten und Zögern in der Umsetzung gekennzeichnet ist.
Rz. 12
Die Unsicherheit wird verstärkt durch den Mangel an Erfahrung. Die Übergabe des Unternehmens von der ersten in die zweite Generation ist die häufigste Form der Nachfolge. Und der Wechsel von der zweiten auf die dritte Generation hat wiederum ihre eigenen Bedingungen. In aller Regel handelt es sich also um eine neuartige Aufgabe, auf die das Geschäftsleben nur unzureichend vorbereitet.
Rz. 13
Auf fremde Erfahrungen zurückzugreifen, ist ein naheliegender Lösungsversuch. Unternehmer und Nachfolger profitieren von einer guten Vernetzung. Ein vertrauensvoller Austausch unter Betroffenen sensibilisiert und erweitert den eigenen Vorstellungsraum. Es entlastet zu beobachten, dass manches ähnlich ist in anderen Familien. Kostbar ist es, Zeuge gelungener Übergabe zu werden. Gelingendes nachzuahmen ist möglicherweise günstiger, als Fehler vermeiden zu wollen.
Und doch reichen fremde Beispiele nie ganz an das eigene heran. Oft lassen sich die Lösungen, die andere gefunden haben, nicht in der eigenen Nachfolge umsetzen.
2. Das Dilemma der Nachfolge
Rz. 14
Konflikte und Tabus erschweren die Nachfolgeentscheidung. Nicht selten verschulden sie Stillstand: In der Familie stockt die Kommunikation und im Unternehmen werden strategische Entscheidungen und Investitionen verschoben. Einige Konflikte und Tabus lassen sich auf charakteristische Paradoxien in Familienunternehmen zurückführen.
Rz. 15
"Wie man’s macht, macht man’s verkehrt." So lässt sich vielleicht die innere Stimme der Unternehmer wiedergeben, die, bestrebt um die beste Lösung, die Nachfolge vertagen. Und in der Tat besteht eine wesentliche Herausforderung darin, sich widersprüchlichen Anforderungen zu stellen: Was für das Unternehmen folgerichtig ist, ist womöglich mit den Maßstäben der Familie nicht zu vereinbaren.
Rz. 16
Paradoxie ist ein Wesensmerkmal von Familienunternehmen. Hier treffen die Emotionalität der Familie und die Rationalität des Unternehmens auf einander. Das Miteinander in der Familie ist auf Beziehung ausgerichtet und geprägt von Loyalität, Gleichwertigkeit und Stabilität. Die Person steht im Mittelpunkt. Im Unternehmen hingegen herrscht Zweckorientierung, sind Wettbewerb, Hierarchie und Wandel bestimmend. Es geht weniger um die Person als ihre Funktion.
Abb. 1: Widersprüchliche Maßstäbe in Familie und Unternehmen
Rz. 17
Paradoxien verunsichern. Sie erschweren Kommunikation und führen zu Stillstand.
Beispiel: Ewige Einarbeitung?
In der Annahme, dass die Nachfolge geregelt sei, tritt Ernst eine leitende Stelle im mütterlichen Unternehmen an. Doch den prüfenden Augen hält er nicht stand. Seine Aufgaben werden nicht wie ursprünglich vereinbart erweitert, sein Verantwortungsbereich nicht ausgeweitet. Er hakt nach. Die Geschäftsführerin Ellen, seine Mutter, weicht aus.
Ellen weiß, dass sie als Unternehmerin handeln muss. Als Mutter findet sie keinen Weg, ihren Sohn mit dem Scheitern zu konfrontieren.
Schließlich kommt es zum Gespräch. Tatsächlich hört Ernst nicht die Unternehmerin, er hört seine Mutter sprechen: Du bist nicht der geeignete Nachfolger.
In der Logik des Unternehmens geht es um Qualifikation, die im Wettbewerb Bestand haben muss. In der Logik der Familie geht es um Loyalität und Zugehörigkeit. Um den daraus folgenden Missverständnissen vorzubeugen, hilft die Unterscheidung von Funktion und Person. Sie ermöglicht, die Entscheidungsparameter offenzulegen und die Überlegungen und Schlussfolgerungen der Unternehmerin oder der Mutter nachzuvollziehen.
Rz. 18
Unternehmensnachfolge verlangt eine Entscheidung, trotz Komplexität, trotz Unsicherheit, trotz Paradoxie. Die Familienstrategie schärft den Blick für typische Widersprüche und Missverständnisse und schafft einen Rahmen, in dem sich Kommunikation entfalten kann. Eine Unternehmerfamilie, die zwischen unterschiedlichen Rollen trennen kann, zwischen den Funktionen im Unternehmen und den Personen der Familie, kann das Thema Nachfolge besprechen: einmal in der Logik des Unternehmens und ergänzend in der der Familie. Das macht das Abwägen zwischen widersprüchlichen Lösungen transparent und ermöglicht, gemeinsam nach dem passenden Weg zu suchen.
3. Die unterschiedlichen Interessen
Rz. 19
Während sich börsennotierte Unternehmen an den Anforderungen des Kapitalmarktes orientieren, sind Familienunternehmen an die Erwartungen der Familie gekoppelt. Die Familie als Eigentümerin hat regelmäßig...