Prof. Dr. Götz Schulze, Dr. Sven Schilf
Rz. 3
Das Internationale Privatrecht (IPR, Kollisionsrecht) ist im Grundsatz nationales Recht, das bei Sachverhalten mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat das anzuwendende Recht bestimmt (Art. 3 EGBGB). Aus deutscher Sicht ist das IPR im Wesentlichen in den Art. 3–46 EGBGB positiv geregelt, richterrechtlich bestimmt (Stellvertretung, Gesellschaftsrecht) oder in Einzelvorschriften verstreut (etwa § 32b UrhG, §§ 335 ff. InsO, siehe näher Rdn 96). Es wird jedoch in weiten Bereichen durch vorrangig geltendes Unionsrecht und ebenfalls vorrangig geltender Staatsverträge verdrängt und ergänzt (zur Rechtsquellenlage vgl. Rdn 17).
I. Verbindung zu einem ausländischen Staat
Rz. 4
Einstiegskriterium für die ip-rechtliche Prüfung ist eine Verbindung des Sachverhalts zu einem ausländischen Staat, Art. 3 EGBGB. Derartige Verbindungen sind:
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ausländische Staatsangehörigkeiten, |
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der gewöhnliche Aufenthalt eines Beteiligten liegt im Ausland, |
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der Ort des Vertragsschlusses und/oder der Vertragserfüllung liegt im Ausland (anderes relevantes Geschehen hat sich im Ausland zugetragen oder soll sich dort zutragen), |
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die streitgegenständliche Sache befindet sich im Ausland (Auslandsbelegenheit, Registrierung im Ausland), |
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der Tatort (Handlungsort, Erfolgsort, Schadensort) liegt im Ausland usw. |
II. Relevanz der aufgeworfenen Rechtsfrage und Rechtslage im Ausland
Rz. 5
Da jedes Gericht sein eigenes Kollisionsrecht anwendet, lautet die maßgebliche Ausgangsfrage, vor welchen Staates Gerichten ein etwaiger Konflikt auszutragen ist (vgl. § 23 Rdn 4 f.: Gerichtsstand und Gerichtsstandsvereinbarung) und von welchen staatlichen Behörden die Rechtsfrage, die Rechtslage oder der Inhalt und die Wirksamkeit eines Vertrags oder auch nur der Gebrauch einer Vollmacht zu beurteilen sind. Die ip-rechtliche Fragestellung ist also getrennt aus den jeweiligen nationalen Blickwinkeln zu beantworten. So kann sich ergeben, dass etwa eine bestimmte vertragliche Gestaltung (bspw. ein Erbvertrag) zwar im Inland, nicht aber in den anderen für den Mandanten relevanten Ländern anerkannt werden wird. Derart hinkende Rechtsverhältnisse bleiben oft unerkannt, sollten aber nach Möglichkeit vermieden werden (zur entsprechenden Beratung und den Haftungsgefahren vgl. Rdn 11). Eine derartige Analyse gestattet zudem die Ermittlung des unter dem Gesichtspunkt des anzuwendenden Rechts aus Sicht des eigenen Mandanten vorteilhaftesten Gerichtsstandes, also desjenigen Gerichtsstandes, der dem Mandanten die größten Chancen bietet, in der Sache zu obsiegen (sog. "forum shopping"). Im Vorfeld von Vertragsverhandlungen unternommen, erlaubt diese Analyse die Identifizierung des idealerweise in einer entsprechenden Gerichtsstandsvereinbarung festzulegenden Gerichtsstandes. Erläutert wird nachfolgend nur aus der Sicht des in Deutschland geltenden nationalen, EU- und völkervertraglichen Kollisionsrechts.
III. Vorentscheidungen im Ausland und Tatbestandswirkung (Verjährung)
Rz. 6
Mit der ip-rechtlichen Fragestellung einher geht die Notwendigkeit der Ermittlung etwaig relevanter ausländischer Entscheidungen. Rechtskräftige Entscheidungen ausländischer Gerichte sind von Amts wegen zu berücksichtigen. Es erfolgt eine automatische (dh inzident festzustellende) Anerkennung. Die Rechtswirkungen der ausländischen Entscheidung werden auf das Inland erstreckt. Inhalt und Bindungswirkung (res iudicata) richten sich nach dem Recht des Urteilstaats, so dass u.U. auch präjudizielle Rechtsverhältnisse bindend festgestellt sein können. Eine Klage auf Anerkennung einer ausländischen Entscheidung bleibt als (Zwischen-) Feststellungsklage möglich (§ 256 ZPO), bzw. Feststellungsantrag nach Art. 36 Abs. 2 EuGVO (2015) u. Art. 21 Abs. 1 EuEheVO. Die materiellen Anerkennungsvoraussetzungen sind in den Art. 45 Abs. 1 EuGVO (2015) u. Art. 22 f. EuEheVO und autonom in § 328 ZPO (vgl. näher § 23 Rdn 46 ff.) sowie in § 109 FamFG geregelt.
Anhängige Verfahren in Mitgliedstaaten der EU führen zur Aussetzung bzw. Abweisung der Klage nach Maßgabe von Art. 29–34 EuGVO (2015). Inhalt und Umfang der Rechtshängigkeitssperre reichen nach der Kernpunkttheorie des EuGH weiter als nach deutschem Recht. Gerichtsverfahren in Drittstaaten führen nur bei positiver Anerkennungsprognose zum Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit und damit zur Abweisung oder zur Aussetzung des inländischen Verfahrens nach §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 148 ZPO (vgl. § 23 Rdn 21 ff.). Eine Klage im Ausland kann grundsätzlich nicht gerichtlich unterbunden werden. Rechtskräftige ausländische Entscheidungen können aber unter engen Voraussetzungen auch auf der Grundlage von § 826 BGB abgewehrt werden.
Bedeutung hat eine auslä...