Prof. Dr. Götz Schulze, Dr. Sven Schilf
Rz. 107
Ein Merkmal des unvereinheitlichten deutschen Familien- und Erbkollisionsrechts des EGBGB vor Inkrafttreten der EuGüVO und der EuErbVO (Art. 15 a.F. Güterrecht; Art. 21, 22 Kindesvermögen; Art. 24 Mündelvermögen, Art. 25 a.F. Erbrecht) war die gegenüber dem grundsätzlich für anwendbar erklärten Recht (Gesamtstatut) gem. Art. 3a EGBGB a.F. angeordnete vorrangige Geltung der am Lageort einzelner Vermögensgegenstände bestehenden "besonderen Vorschriften" des dort geltenden Rechts (Einzelstatut): Einzelstatut geht vor Gesamtstatut. Das Ergebnis ist eine Rechtsspaltung.
Relevant bleibt diese Besonderheit insbesondere im Rahmen von Art. 15 EGBGB in der bis einschließlich 28.1.2019 geltenden Fassung für Altfälle, solange die Eheleute keine Rechtswahl ab dem 29.1.2019 getroffen haben (Art. 69 Abs. 3 EuGüVO, siehe Rdn 65). Unter denselben Voraussetzungen anwendbar bleiben die Art. 3a EGBGB a.F. und Art. 14 EGBGB a.F. Die danach maßgebliche Globalverweisung des Art. 15 EGBGB a.F. wird durchbrochen für Vermögensgegenstände, die sich in einem anderen Staat befinden und dort – wegen des Lageorts in dem betreffenden Staat – zwingenden materiellen oder kollisionsrechtlichen Sonderregeln unterworfen sind. Auf diesen Vermögensbestand – meist Grundstücke – findet das Güterrecht des Lageortrechts Anwendung. Den Kreis der davon betroffenen Gegenstände zu bestimmen obliegt dem Lageortstaat. Besondere Vorschriften ausländischer Belegenheitsrechte sind zahlreich und betreffen zumeist das Erbrecht. Es kann sich um materiell-rechtliche Sonderregeln und auch um kollisionsrechtliche Sonderregeln handeln, wobei unter dem europäischen Verordnungskollisionsrecht die Beachtung zwingender kollisionsrechtlicher Sonderregeln ausgeschlossen ist.
Die EuGüVO kennt demgegenüber keinen Vorbehalt zugunsten der am Lageort einzelner Vermögensgegenstände geltenden zwingenden Regelungen; es gilt der Grundsatz der Einheit des anzuwendenden Rechts (Art. 21 EuGüVO). Ferner führt der Ausschluss des Renvoi dazu, dass selbst versteckte Rückverweisungen, wie sie nach Art. 15 EGBGB a.F. von deutschen Gerichten angenommen wurden, nicht mehr zur Anwendung kommen können.
Die EuErbVO enthält in Art. 30 einen auf zwingende materiellrechtliche Regelungen der Erbfolge mit internationalem Geltungsanspruch beschränkten Vorbehalt zugunsten der Regelungen des Belegenheitsstaates.
Ungeachtet der damit angeordneten Unbeachtlichkeit zwingender kollisionsrechtlicher Sonderregeln kann es jedoch auch im Anwendungsbereich der EuErbVO, die grundsätzlich Sachnormverweisungen den Vorzug gibt, bei Verweisung gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO auf die Vorschriften eines Drittstaates zu einer Gesamtverweisung kommen (Art. 34 Abs. 1 EuErbVO), über die in der Folge auch zwingende kollisionsrechtliche Sonderregelungen zur Anwendung kommen können. Folge ist, dass einzelne Nachlassgegenstände einem anderen Recht als dem Erbstatut unterliegen.
Eine sorgfältige Prüfung der anwendbaren Kollisionsvorschriften wie auch des ausländischen Rechts bleibt also stets geboten. Deutsche Sonderregeln, die zu einer Durchbrechung des Gesamtstatuts führen, bestehen nur noch hinsichtlich: