Prof. Dr. Götz Schulze, Dr. Sven Schilf
1. Korrekturen der Kollisionsrechtsanwendung
a) Indirekte Rechtswahl (Gesetzesumgehung)
Rz. 112
Die Parteien haben prinzipiell auch die Möglichkeit, die Anknüpfungspunkte (Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, Ort des Vertragsschlusses, Lageort einer Sache, Gründungssitz einer Gesellschaft, usf.) durch ihr Verhalten zu bestimmen. Sofern die betreffende Kollisionsnorm auf die jeweils aktuelle Situation abstellt (sog. Wandelbarkeit der Anknüpfung), kann so das anzuwendende Recht gesteuert werden.
Die indirekte Rechtswahl ist für sich gesehen unproblematisch. Zulässig sind bspw.:
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Der Wechsel der Staatsangehörigkeit, etwa um dem deutschen Pflichtteilsrecht auszuweichen. |
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Die Verlegung des Abschlussortes eines Rechtsgeschäfts aus Kostengründen oder um dt. Formvorschriften auszuweichen. |
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Die Eheschließung im Ausland, um Formerfordernisse des Heimatrechts einer der Verlobten zu überwinden. |
In Grenzfällen kann aber eine missbräuchliche kollisionsrechtliche Gestaltung vorliegen (fraus legis/fraude à la loi): ein ausnahmsweise unzulässiges "law shopping". Bloße Simulationen bestimmter Anknüpfungstatsachen sind schon nicht rechtswirksam. Keine Anerkennung finden ferner Gestaltungen, die ausschließlich der Umgehung berechtigter inländischer Wertungen (Schutzzwecke) dienen. Bejaht wurde eine solche Umgehung bei der Verlegung eines Erwerbsgeschäfts ins Ausland, um den Anfechtungsvorschriften zu entgehen. Ebenso ist die Verbringung einer gestohlenen Sache in ein anderes Land, um dort einen Gutglaubenserwerb zu ermöglichen und die Sache dann vom Erwerber zurückzukaufen, missbräuchlich und daher unbeachtlich. Derartige Gestaltungen werden entweder über die kollisionsrechtlichen Normen selbst (Ausweichklauseln Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO, Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO; Art. 41, 46 EGBGB; Art. 21 Abs. 2 EuErbVO) oder als Verstoß gegen den deutschen ordre public (Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom II-VO, Art. 13 HUP, Art. 12 Rom III-VO, Art. 35 EuErbVO, Art. 6 EGBGB) ausgeschaltet. Bei der Umgehung ausländischer Schutzvorschriften gelten die gleichen Grundsätze.
b) Ergebniskorrektur
aa) Ordre public
Rz. 113
Die ausländische Rechtsnorm ist nicht anwendbar, wenn das Ergebnis ihrer Anwendung mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sein würde (Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom II-VO, Art. 6 S. 1 EGBGB). Das ist insbesondere der Fall, wenn das Ergebnis mit den Grundrechten unvereinbar ist (S. 2). Diese Grundsätze gelten auch auf Grundlage der EU-VOen, die zwar eigene op-Vorschriften enthalten (Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom II-VO, Art. 13 HUP; Art. 12 Rom III-VO, Art. 35 EuErbVO), dabei aber auf den nationalen (hier deutschen) ordre public abstellen. Die Eingriffsschwelle hängt maßgeblich von der Art und Intensität der Inlandsbeziehung ab. In einem zweiten Arbeitsschritt ist zu bestimmen, welches Sachrecht stattdessen angewendet werden soll.
(1) Typischer Sachverhalt (Ordre public-Prüfung)
Rz. 114
Der bei einem Bergbahnunfall in Tirol schwer verletzte deutsche Fabrikant A hat den New Yorker Anwalt B mit der Geltendmachung von Schadensersatzforderungen gegen ein auch in New York ansässiges Unternehmen U beauftragt. U hatte schadensursächliche Teile der Bergbahn geliefert und zahlte an A im Vergleichsweg 1 Mio. EUR. Rechtsanwalt B klagt daraufhin auf Zahlung des vereinbarten 50 %igen Erfolgshonorars vor dem zuständigen deutschen Landgericht. Das auf den Honoraranspruch anwendbare Recht des Staates New York (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) erlaubt Erfolgsbeteiligungen bis zu 50 %. Einschlägig ist Art. 21 Rom I-VO, der auf den nationalen ordre public (Art. 6 EGBGB) verweist und hier zur Unanwendbarkeit der 50 %-Regel führt.
(2) Checkliste: Ordre public-Verstoß
Rz. 115
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Voraussetzungen
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Verstoß gegen einen wesentliche... | |