Dr. Katharina Hemmen, Dr. Julian Schick
aa) Steuerklassenprivileg bei Erstausstattung einer Familienstiftung
(1) Privilegierung der Familienstiftung
Rz. 261
Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz enthält für die Bestimmung der Steuerklasse bei inländischen Familienstiftungen eine Sonderregelung. Für Vermögenszuwendungen an eine Familienstiftung wäre mangels Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Stifter und Stiftung an sich stets die ungünstige Steuerklasse III anzuwenden. Der Gesetzgeber sieht jedoch insoweit eine Privilegierung der Familienstiftung vor, als für die Ermittlung der Steuerklasse ein Durchgriff auf die begünstigten Familienmitglieder erfolgt. Die Steuerklasse für Vermögenszuwendungen im Zuge der Errichtung einer Familienstiftung richtet sich nach dem Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Stifter, vgl. § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Unter Umständen ergibt sich hieraus also eine günstigere Steuerklasse als Steuerklasse III.
(2) Begriff der Familienstiftung i.S.d. § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG
Rz. 262
Von einer Familienstiftung ist auszugehen, wenn eine inländische Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet ist, vgl. § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Unter "Familie" sind der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge i.S.d. § 15 AO zu verstehen.
Rz. 263
Nach Ansicht des BFH ist eine Stiftung dann "wesentlich" im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet, wenn nach der Satzung und ggf. dem Stiftungsgeschäft das Wesen der Stiftung darin besteht, den berechtigten Familien zu ermöglichen, das Stiftungsvermögen, soweit es einer privaten Nutzung zugänglich ist, zu nutzen und die Stiftungserträge an sich zu ziehen. Auf tatsächliche Ausschüttungen von Erträgen oder Nutzungen des Stiftungsvermögens soll es dabei nicht ankommen. Bezeichnet die Stiftungssatzung Familienmitglieder als bezugsberechtigte Personen, so besteht ein "wesentliches Familieninteresse", wenn neben der Unterstützung dieses Personenkreises kein anderer Stiftungszweck existiert. Ob bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit es tatsächlich zu einer Zuwendung an diesen Personenkreis komme, soll hingegen unerheblich sein. Diese Grundsätze sollen auch bei unternehmensverbundenen Stiftungen gelten: Besteht das Stiftungsvermögen im Wesentlichen aus einem Unternehmen und/oder Unternehmensbeteiligungen, spricht der vom Stifter beabsichtigte Erhalt des Unternehmens weder für noch gegen ein (wesentliches) Familieninteresse, denn der Erhalt und die Weiterentwicklung des Stiftungsvermögens stellen noch keinen Stiftungszweck dar. Auch mittelbare Vermögensvorteile, die nicht zwingend in Geld bezifferbar sein müssen, können ein relevantes Interesse der Familienangehörigen darstellen.
Rz. 264
Die Finanzverwaltung nimmt ein "wesentliches" Familieninteresse in Anlehnung an § 15 Abs. 2 AStG stets an, wenn nach der Satzung der Stifter und seine Familie zu mehr als der Hälfte hinsichtlich der Ausschüttungen bezugs- oder anfallsberechtigt sind, vgl. R E 1.2 Abs. 2 S. 1 ErbStR 2019. Treten weitere besondere Merkmale hinzu, z.B. wesentlicher Einfluss der Familie auf die Geschäftsführung der Stiftung, kann eine Familienstiftung sogar bereits bei einem Bezugs- und Anfallsrecht von nur 25 Prozent angenommen werden, vgl. R E 1.2 Abs. 2 S. 2 und 3 ErbStR 2019.
(3) Begriff des "entferntest Berechtigten"
Rz. 265
Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist zur Ermittlung des "entferntest Berechtigten" nicht allein auf die derzeit Berechtigten, sondern auf alle potenziell Berechtigten künftiger Generationen abzustellen, vgl. R E 15.2 Abs. 1 S. 2 ErbStR 2019. Auch nach Auffassung der Rechtsprechung gehören zu den "entferntest Berechtigten" alle Personen, die nach der Satzung auch nur theoretisch in Zukunft aus der Generationenfolge Vorteile aus der Familienstiftung erlangen können, ohne dass diese bereits geboren sein müssen.
Rz. 266
Praxishinweis
In der Beratungspraxis sollte daher bei der Gestaltung der Stiftungssatzung, soweit möglich, die Anwendung der Steuerklasse I sichergestellt werden. Hierzu sollte die Stiftungssatzung die Bezugsberechtigung auf den überlebenden Ehegatten, die Kinder und die Abkömmlinge der Kinder (sowie die Eltern des Stifters bei Stiftungserrichtung von Todes wegen) beschränken. Werden nach der Stiftungssatzu...