Rz. 13
Für ein tatbestandsmäßiges Entfernen genügt beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort eine Absetzbewegung derart, dass der räumliche Zusammenhang zwischen dem Unfallbeteiligten und dem Unfallort aufgehoben und seine Verbindung zu dem Unfall nicht mehr ohne weiteres erkennbar ist, sodass der Beteiligte nicht mehr uneingeschränkt zur sofortigen Feststellung an Ort und Stelle zur Verfügung steht, sondern erst durch Umfragen ermittelt werden muss. Der Unfallbeteiligte darf sich nicht schon so weit von der Unfallstelle entfernt haben und es darf noch nicht so viel Zeit verstrichen sein, dass an dem inzwischen erreichten Ort feststellungsbereite Personen ohne Weiteres nicht mehr zu erwarten sind. Was noch Unfallort ist, ist also im Einzelfall festzustellen und zu bestimmen, wobei die Rechtsprechung annimmt, dass ein Abstand von 250 m (auf Autobahnen) bzw. 400–500 m diesem Radius nicht mehr entsprechen soll. Richtigerweise lässt sich eine feste Grenze nicht ausmachen, sondern kommt es darauf an, ob noch der genannte unmittelbare räumliche Bezug zu dem Unfallgeschehen gegeben ist.
Rz. 14
Nun kann es vorkommen, dass der Unfall bemerkt, aber nicht sofort angehalten werden kann, etwa weil andere Verkehrsteilnehmer sonst gefährdet oder aber der Verkehr behindert würde. Der Mandant fährt also weiter und kommt erst später zum Stehen. Die Polizei schreibt eine Strafanzeige und auch die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Mandant sich vom Unfallort entfernt hat, weil er zu weit gefahren ist. Hier sollte der Verteidiger unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls auf § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO verweisen. Danach hat derjenige, der an einem Verkehrsunfall beteiligt ist, den Verkehr zu sichern und unverzüglich beiseite zu fahren. Die Begrifflichkeiten lehnen sich an § 142 StGB an. Neben § 142 StGB ist die Vorschrift wegen § 21 Abs. 1 S. 1 OWiG nicht anwendbar. Die Vorschrift kommt häufig zur Anwendung, wenn eine Strafbarkeit nach § 142 StGB ausscheidet. Aber auch wenn der Verteidiger erkennt, dass Staatsanwaltschaft/Gericht nicht vom Vorwurf der Unfallflucht abrücken wollen, lohnt sich die Argumentation mit dem Rechtsgedanken des § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO nach der hier vertretenen Auffassung. Immerhin stellt die Vorschrift für den Mandant das "geringere Übel" dar. Richtigerweise dürfte dieses Problem im subjektiven Tatbestand abzuhandeln sein. Wegen seiner Nähe zum Tatbestandsmerkmal "Unfallort" erfolgt die Darstellung gleichwohl an dieser Stelle. Dieser rechtliche Ansatz macht auch deshalb Sinn, weil bei einer fehlerhaften Einschätzung des Mandanten über die Reichweite des berechtigten Beiseitefahrens über einen Irrtum, nämlich einen Tatbestandsirrtum nachgedacht werden muss, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Er irrt über das Tatbestandsmerkmal "Unfallort". Bei konsequenter Anwendung entfällt dann der Vorsatz, eine Strafbarkeit wegen Unfallflucht scheidet aus, wenngleich die Ordnungswidrigkeit gem. § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO geahndet werden könnte.
Rz. 15
Muster 22.4: Pflicht zum Beiseitefahren
Muster 22.4: Pflicht zum Beiseitefahren
Die Staatsanwaltschaft verkennt, dass mein Mandant verpflichtet gewesen ist, beiseite zu fahren. Dies folgt unmittelbar aus § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO. Dabei verkenne ich nicht, dass die Strafvorschriften gem. § 21 Abs. 1 OWiG grundsätzlich vorgehen. Gleichwohl kann der Rechtsgedanke des § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO hier angeführt werden. Nach dem Zusammenstoß erkannte mein Mandant, dass es sich um eine sehr schmale Straße handelte, auf der zum Unfallzeitpunkt wegen des Berufsverkehrs ein starkes Verkehrsaufkommen war. Er wollte daher einen Stau vermeiden und entschied sich, sein Fahrzeug beiseite zu fahren. Sodann wollte er zum Unfallort zurückgehen, um mit dem Geschädigten das weitere Vorgehen zu erörtern. Die Umstände zum Unfallzeitpunkt sowie die örtlichen Gegebenheiten gaben ein räumlich nahes Beiseitefahren nicht her, so dass mein Mandant in der Tat ca. 550 m weiterfuhr. Unabhängig von der zurückgelegten Fahrtstrecke ist anerkannt, dass ein Entfernen dann nicht vorliegt, wenn der Betreffende zur Vermeidung einer Verkehrsbehinderung lediglich eine kurze Strecke zu einem geeigneten Standplatz fährt (OLG Köln zfs 1981, 323). Was eine kurze Strecke ist, ist Auslegungssache. Mein Mandant ging sofort zur Unfallstelle zurück. Zu diesem Zeitpunkt war die Polizei jedoch bereits vor Ort erschienen und eröffnete ihm den Vorwurf der Unfallflucht, der meinen Mandanten verwunderte.
Selbst wenn man nun den objektiven Tatbestand noch bejahen wollte, entfällt zumindest der Vorsatz. Mein Mandant befand sich in einem Tatbestandsirrtum, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Er irrte über das Tatbestandsmerkmal "Unfallort". Denn er ging davon aus, dass er auch nachdem er zur Seite gefahren war, sich noch am Unfallort aufhielt.
Der subjektive Tatbestand ist dementsprechend nicht gegeben. Ich beantrage, das Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten gem. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.
Rz. 16
Muster 22.5: Sch...