Rz. 27
Der Vorsatz nach § 142 Abs. 1 muss sich auf alle Merkmale des äußeren Tatbestandes erstrecken. Dazu gehört, dass der Täter weiß, dass es zu einem Unfall i.S.d. § 142 StGB gekommen ist.
Rz. 28
Unterschieden werden muss zunächst nach der Wahrnehmungsfähigkeit des Fahrzeugführers und der tatsächlichen Wahrnehmbarkeit. Persönliche Einschränkungen des Fahrzeugführers, insbesondere psychologische, gesundheitliche oder körperliche Beeinträchtigungen müssen ausreichend in den Feststellungen und in der Beweiswürdigung eines Urteils hervortreten. Die Wahrnehmbarkeit des Unfalls kann auch aufgrund innerer Einflüsse wie Stress, Angst oder äußerer Einflüsse wie schwierige Verkehrssituation, der Lichtverhältnisse oder Fahrunebenheiten ausgeschlossen sein.
Rz. 29
Ist die Wahrnehmungsfähigkeit gegeben, muss hinsichtlich der Wahrnehmbarkeit differenziert werden, ob der Unfall visuell und/oder akustisch und/oder taktil wahrgenommen werden konnte. Das Gericht muss klar trennen zwischen subjektiven Einschätzungen und objektiv messbaren Fakten. Bei Einschätzungen eines Unfallgeräusches als "sehr laut" durch einen Zeugen kann es sich um eine subjektive, weder messbare noch reproduzierbare und daher nur wenig aussagekräftige Aussage handeln. Ergibt sich dementsprechend aus der Ermittlungsakte oder wird in der Anklage hierauf Bezug genommen, dass ein Zeuge angegeben hat, er habe in der Nähe gestanden und der "Knall" sei so laut gewesen, dass der Mandant diesen habe wahrnehmen müssen, ist hier anzusetzen. Diese Aussage bedeutet zunächst nichts. Denn der Zeuge ist regelmäßig gänzlich anderen (Umwelt-)Geräuschen ausgesetzt, als der sich im Fahrzeug befindliche Mandant.
Rz. 30
Auf entsprechenden Vortrag und Beweisantritt muss zur Klärung der Wahrnehmbarkeit daher üblicherweise ein technischer Sachverständiger bestellt werden, da dem Gericht (und der Staatsanwaltschaft) die notwendige Sachkunde fehlt.
Rz. 31
Es gibt auch keinen Erfahrungssatz, dass die Berührung zweier Fahrzeuge immer von den Fahrzeuginsassen taktil wahrgenommen wird. Hieraus folgt, dass ein Gericht in der Regel nicht lediglich aufgrund von Zeugenaussagen zur (akustischen) Wahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalles den Mandanten verurteilen darf, wenn dieser sich dergestalt einlässt, er habe einen Zusammenstoß nicht wahrgenommen. Richtigerweise ist sogar davon auszugehen, dass Staatsanwaltschaft und Gericht gehalten sind, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn der Beschuldigte/Angeschuldigte die Wahrnehmbarkeit des Unfalls in Abrede stellt.
Rz. 32
Muster 22.11: Keine Wahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalls
Muster 22.11: Keine Wahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalls
Von einem Anstoß hat mein Mandant zu keinem Zeitpunkt etwas bemerkt. Ansonsten hätte er selbstverständlich angehalten und seine Unfallbeteiligung zu erkennen gegeben. Auch die Beifahrerin hat meinen Mandanten nicht auf einen etwaigen Zusammenstoß hingewiesen. Auch sie hat nichts bemerkt.
Der subjektive Tatbestand ist daher nicht erfüllt, denn dort ist die Wahrnehmbarkeit des Unfalls angesiedelt (Gutt/Krenberger, zfs 2014, 9 ff.).
Beim Einparken hat mein Mandant nie einen Widerstand gemerkt. Durch Zeugen kann die Frage der Wahrnehmbarkeit zudem nur selten zuverlässig geklärt werden. So kann aus der Tatsache, dass ein in der Nähe der Unfallstelle befindlicher Zeuge das Aufprallgeräusch wahrnahm, nicht zwingend geschlossen werden, dass dieses dann auch vom Fahrzeuglenker hätte gehört werden müssen. Bei der Bejahung des Vorsatzes ist auf die individuellen Umstände in der Person meines Mandanten abzustellen und nicht auf die Bemerkbarkeit des Unfalls durch einen Zeugen (Staub, DAR Extra 2014, 744). Anstoßgeräusche, die außerhalb von Fahrzeugen gehört werden, werden stets lauter als innerhalb des Fahrzeuges empfunden (Burg/Rau, Handbuch der Verkehrsunfallrekonstruktion, S. 735). Zudem waren die Zeugen und mein Mandant gänzlich unterschiedlichen Umweltgeräuschen ausgesetzt und haben sehr wahrscheinlich ein anderes Hörvermögen. Der in 1m Abstand vom Stoß außerhalb des Fahrzeuges gemessene Schallpegel ist oft lauter als der im Innenraum eines beteiligten Fahrzeugs erfasste Pegel. Außerhalb des Fahrzeugs befindliche Zeugen hören daher häufig lautere Geräusche als der beschuldigte Fahrer (Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, 7. Aufl., Rn 144).
Mein Mandant hört zulässigerweise grundsätzlich Radio während der Fahrt, was sich natürlich auch auf die (akustische) Wahrnehmbarkeit auswirkt.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Fahrzeughersteller mittlerweile größten Wert darauf legen, dass der Innenraum von Außengeräuschen möglichst gut abgeschirmt wird. Es kommt daher auch auf die Dämpfung der Fahrgastzelle des von meinem Mandanten geführten Fahrzeuges an. Es ist erwiesen, dass der Schallpegel im stoßenden und gestoßenem Fahrzeug sich um das 4 bis 6-fache unterscheiden können, weshalb Insassen des stoßenden Fahrzeugs teilweise wesentlich andere Kollisio...