Prof. Dr. Michael Fischer, Prof. Dr. Martin Cordes
Rz. 11
Der Gesetzgeber qualifiziert verschiedene Gegebenheiten als Anlass für eine gesetzlich vorgeschriebene Bilanzierung. Im Mittelpunkt des Bilanzrechts steht naturgemäß die ordentliche Jahresabschlussbilanz, doch gibt es eine Vielzahl weiterer gesetzlich vorgeschriebener Bilanzierungsanlässe (vgl. z.B. § 15a InsO; § 98 GenG; §§ 17, 24 UmwG; § 57i GmbHG; § 207 Abs. 3 AktG; § 153 Abs. 1 InsO; § 66 InsO; §§ 242 Abs. 1 Satz 1,154 HGB; 71 GmbHG; § 270 AktG). Regelmäßig liegen den verschiedenen Bilanzierungsanlässen auch unterschiedliche Bilanzierungszwecke zugrunde, sodass sich allgemeingültige Bilanzierungsregeln in einem materiellen Sinn nicht entwickeln lassen.
Rz. 12
Im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Bilanzierungszwecken muss man sich vor Augen führen, dass der materielle Aussagegehalt jeder Bilanz von zwei Fragestellungen bestimmt wird. Es ist stets zu entscheiden,
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ob eine Position dem Grunde nach zu aktivieren oder zu passivieren und |
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wie sie zu bewerten ist. |
Rz. 13
Bilanzrecht ist Bewertungsrecht, unterschiedliche Bilanzierungszwecke bedingen unterschiedliche Werte, weswegen danach unterschieden werden muss, ob es um eine Bewertung zu Ausschüttungszwecken, zu Informationszwecken oder zur konkreten Sicherung von Gläubigeransprüchen geht.
Beispiel
Je nach Bilanzierungszweck ist differenzierend zu entscheiden, ob eine ungeschützte (geheim gehaltene) selbst geschaffene Erfindung aktiviert werden darf.
Zunächst ist zu klären, ob eine ungeschützte Erfindung überhaupt dem Grunde nach einen (immateriellen) Vermögensgegenstand darstellt. Dies bejaht die ganz herrschende Meinung. Von dem konkreten Bilanzanlass (und den damit verbundenen Zwecken) hängt dann ab, ob ein immaterieller Vermögensgegenstand zu aktivieren und wie er zu bewerten ist.
In der ordentlichen Jahresabschlussbilanz gilt § 248 Abs. 2 HGB. Bis zum Inkrafttreten des BilMoG am 29.5.2009 war zwischen entgeltlich erworbenen immateriellen Vermögensgegenständen des Anlagevermögens (Aktivierungspflicht) und nicht entgeltlich erworbenen (Aktivierungsverbot) zu unterscheiden. Nach der Neufassung des § 248 Abs. 2 HGB besteht nunmehr für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände im Grundsatz ein Aktivierungswahlrecht. Geht es hingegen um die Konzernrechnungslegung nach IAS/IFRS (International Accounting Standards/International Financial Reporting Standards, dazu u. Rdn 15, 60), sind immaterielle Vermögensgegenstände zwingend zu aktivieren, wenn wahrscheinlich ist, dass dem Unternehmen der künftige wirtschaftliche Nutzen aus ihnen zufließen wird und die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten zuverlässig bemessen werden können (IAS 38). Bei der Ermittlung des Überschuldungsstatus steht demgegenüber die Frage eines einzeln veräußerbaren und verwertbaren Vermögensgegenstandes im Vordergrund, der überdies vorsichtig zu bewerten ist, um dem Zweck einer tatsächlichen Gläubigerbefriedigung im Insolvenzfall genügen zu können.
Rz. 14
Den gesetzlichen Fixpunkt des Bilanzrechts bilden die §§ 238 ff. HGB. Nach § 242 Abs. 1 HGB ist grds. jeder Kaufmann verpflichtet, "für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres einen das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden darstellenden Abschluss (Bilanz) aufzustellen". Bei Gründung des Unternehmens ist eine Eröffnungsbilanz aufzustellen (vgl. § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB). Eine Ausnahme gilt seit Inkrafttreten des BilMoG (s. Rdn 53) gem. §§ 242 Abs. 4, 241a HGB für Einzelkaufleute, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren bestimmte Schwellenwerte bei Umsatzerlösen und Jahresüberschuss nicht überschreiten. Durch das BilRUG (s. Rdn 54) ("jeweils" eingefügt) wurde klargestellt, dass sich der Schwellenwert auf einen 12-Monats-Zeitraum bezieht. Seit dem Bürokratieentlastungsgesetz beträgt der Schwellenwert der Umsatzerlöse 600.000,00 EUR, der des Jahresüberschusses 60.000,00 EUR. Zu beachten ist aber, dass der Begriff der Umsatzerlöse i.S.d. § 277 Abs. 1 HGB durch das BilRUG erweitert wurde. Die erhöhten Schwellenwerte des § 241a HGB gelten gem. Art. 76 EGHGB für Geschäftsjahre, die nach dem 31.12.2015 beginnen. Da die in Betreff der Kaufleute gegebenen Vorschriften auch auf Handelsgesellschaften Anwendung finden (vgl. § 6 Abs. 1 HGB), trifft die Verpflichtung zur Buchführung und Bilanzierung indessen nach wie vor alle Handelsgesellschaften (OHG; KG) sowie – unabhängig vom Gegenstand des Unternehmens – die AG (§ 3 Abs. 1 AktG), die KGaA (vgl. § 278 Abs. 3 AktG), die Europäische Gesellschaft (SE, Art. 1 Abs. 2 Satz 1 SE-VO, § 3 SEEG), die GmbH (vgl. § 13 Abs. 3 GmbHG) sowie die Genossenschaft (vgl. § 17 Abs. 2 GenG).
Rz. 15
Auf die ordentliche Jahresabschlussbilanz bauen die Vorschriften über die ordentliche Konzern- und Teilkonzernbilanz auf (vgl. § 298 Abs. 1 HGB). Einen solchen konsolidierten Abschluss hat jede Unternehmensgruppe aufzustellen (vgl. § 290 HGB). Für den Konzernabschluss kapitalmarktorientierter Unternehmen schreibt die Europäisch...