Prof. Dr. Michael Fischer, Prof. Dr. Martin Cordes
Rz. 131
Das HGB legt in den §§ 240 Abs. 1, 246 Abs. 1, 248 Abs. 2, 252 Abs. 1 HGB den Begriff des Vermögensgegenstandes zugrunde und zeigt damit, dass grds. nur gegenständlich verdichtete Positionen aktivierbar sind. Im Mittelpunkt der handelsrechtlichen Aktivierung steht dem Grunde nach damit die Definition des Vermögensgegenstandes. Hier haben entwicklungsgeschichtlich die Bilanztheorien (dynamische, organische, statische Bilanztheorie), die heute die Praxis des geltenden Rechts kaum mehr beeinflussen, eine Rolle gespielt.
Die herrschende Meinung verlangt keine geschützte Rechtsposition, weshalb auch ungeschützte Erfindungen, Know-how usw. im bilanzrechtlichen Sinne Vermögensgegenstände sein können. Nichtsdestoweniger wird im Handelsbilanzrecht einschränkend die selbstständige Verkehrsfähigkeit und die selbstständige Bewertbarkeit des Postens vor dem Hintergrund des Vorsichtsprinzips verlangt. Deshalb besteht keine vollständige Deckungsgleichheit mit dem steuerrechtlichen Begriff des Wirtschaftsgutes, der von der Rspr. des BFH so interpretiert wird, dass eine selbstständige Bewertbarkeit des Postens genügt, wenn der Wert periodenübergreifend genutzt und zusammen mit dem Unternehmen übertragen werden kann.
Rz. 132
Die selbstständige Bewertbarkeit ist auf der Grundlage der allgemeinen Verkehrsauffassung am Maßstab eines einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhangs zu ermitteln. Deshalb sind nach Maßgabe der Verkehrsauffassung funktionale Bewertungseinheiten zu bilden. So sind z.B. eine Maschine oder ein Kfz als Vermögensgegenstände zu aktivieren und nicht deren einzelne Bestandteile. Abweichend von der zivilrechtlichen Sichtweise bilden Grund und Boden sowie Gebäude eigenständige Vermögensgegenstände, weil nur das Gebäude einem Wertverzehr unterliegt, was sich bilanzrechtlich über entsprechende Absetzungen für Abnutzung (AfA) abbilden muss. Daraus folgt, dass der Kaufpreis für ein bebautes Grundstück nach dem Verhältnis der Verkehrswerte auf die beiden Vermögensgegenstände aufzuteilen ist (dazu u. Rdn 196 f.). Im Einzelfall lässt sich über die Abgrenzung nach Maßgabe der Verkehrsauffassung trefflich streiten.
Beispiel – Grund und Boden
Die Zuweisung der Milchreferenzmenge soll nach der Rspr. des BFH als Abspaltung der ursprünglich mit dem Grund und Boden verbundenen Befugnis zur Milcherzeugung und -vermarktung zu einem neuen Vermögensgegenstand führen. Bei Bodenschätzen geht die Rspr. des BFH davon aus, dass ein unter der Erdoberfläche befindlicher Bodenschatz so lange kein selbstständiger Vermögensgegenstand sei, wie der Eigentümer oder Nutzungsberechtigte den Bodenschatz nicht selbst nutzt oder durch einen anderen nutzen lässt. Als Gegenstand greifbar und damit zum eigenständigen Vermögensgegenstand wandle sich der Bodenschatz aber dann, wenn der Eigentümer über ihn verfüge. Dies sei z.B. der Fall, wenn das Grundstück unter gesonderter Berechnung eines Kaufpreises für den Bodenschatz einem Abbauunternehmer veräußert werde. In diesem Fall sind die Bodenschätze materielle Wirtschaftsgüter i.S.d. § 242 Abs. 1 HGB.
Beispiel – Windpark:
Hinsichtlich der Bilanzierung von Windkraftanlagen nimmt der BFH an, dass jede Windkraftanlage in einem Windpark ein selbstständiger Vermögensgegenstand ist. Wenn einzelne Wirtschaftsgüter als Anlage zusammengestellt bzw. zusammengefügt werden ist entscheidend, ob sie weiterhin selbstständig bewertbar bleiben. Ein neues einheitliches Wirtschaftsgut liegt hingegen vor, wenn für die Wirtschaftsgüter einem einheitlichen betrieblichen Zweck dienen und eine technische Verbindung besteht, bei der das Herauslösen einzelner Wirtschaftsgüter zu einer Nichtnutzbarkeit führen würde. Trotz ihres gemeinsamen Betriebs im Windpark sind die einzelnen Windkraftanlagen deshalb eigenständige Vermögensgegenstände. Für die einzelne Windkraftanlage als solche ist hingegen eine Funktionseinheit zu bilden, bestehend aus Fundament, Verkabelung und Transformator.
Beispiel – Gebäude
Aus dem einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang folgt, dass auch die unterschiedliche Nutzung eines Gebäudes zu mehreren selbstständigen Vermögensgegenständen führt. Wird ein Gebäude z.B. teils zu eigenbetrieblichen, teils zu fremdbetrieblichen und teils zu Wohnzwecken genutzt, folgt aus den unterschiedlichen Verwendungszwecken, dass mehrere selbstständige Vermögensgegenstände vorliegen. Einschränkend gilt der sog. Einheitlichkeitsgrundsatz, d.h. mehrere Einheiten in einem Gebäude, die in demselben Nutzungs- und Funktionszusammenhang stehen, bilden wiederum einen Vermögensgegenstand. Ebenfalls als eigenständiger Vermögensgegenstand werden Betriebsvorrichtungen angesehen. Darunter versteht man die zu einer Betriebsanlage gehörenden maschinellen Anlagen, die zivilrechtlich zwar wesentliche Bestandteile des Grundstücks sind, bilanzrechtlich aber als selbstständige Vermögensgegenstände behandelt werden, weil sie nicht der Nutzung des Grundstücks oder des Gebäudes dienen,...