Prof. Dr. Michael Fischer, Prof. Dr. Martin Cordes
Rz. 30
Für die GmbH ist der Grundsatz der Kapitalerhaltung nicht so streng ausgeprägt wie bei der AG. Nach § 30 Abs. 1 GmbHG unterliegt lediglich das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Gesellschaftsvermögen der strengen Kapitalbindung. Der Gesetzgeber hat sich also gegen ein "Verbot der Einlagenrückgewähr" entschieden, weil nur eine bestimmte Vermögensmasse nach §§ 30, 31 GmbHG i.H.d. Stammkapitalziffer gebunden ist. Wenn das Reinvermögen der Gesellschaft (Aktiva abzgl. Schulden) nicht mehr das Stammkapital deckt, entsteht eine sog. Unterbilanz und § 30 Abs. 1 GmbHG normiert ein Ausschüttungsverbot.
Rz. 31
Im Zusammenhang mit der Feststellung einer Unterbilanz kommt den Querbezügen zum Handelsbilanzrecht eine entscheidende Bedeutung zu. Denn es geht darum, wie das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft zu ermitteln ist. Nach ständiger Rspr. des BGH hat die Berechnung, insb. Ansätze und Bewertung, nach den allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen für die Jahresbilanz unter Fortführung der Buchwerte zu erfolgen. Dabei sind auch Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. Es ist also kein echter Vermögensstatus unter Ansatz von Verkehrswerten bzw. Liquidationswerten zu erstellen, sodass stille Reserven keine Berücksichtigung finden, es sei denn, deren Auflösung entspricht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung.
Hinweis
Nicht ganz geklärt ist, ob aus der bilanziellen Betrachtungsweise für die Ermittlung des geschützten Vermögens auch folgt, dass eine Zwischenbilanz auf den Auszahlungszeitpunkt aufgestellt werden muss. Aus Gründen der Beweisführung über die Zulässigkeit der Auszahlung scheint dies aber zumindest zweckmäßig zu sein.
Rz. 32
Der für § 30 Abs. 1 GmbHG erforderliche Kapitalerhaltungsschutz ist allerdings nicht ausschließlich aufgrund einer bilanziellen Betrachtungsweise zu ermitteln. Es verhält sich vielmehr so, dass der Rückgriff auf die handelsbilanziellen Buchwerte ausschließlich zum Vorteil der GmbH zulässig und geboten ist, nicht aber zu deren Nachteil. Insb. dürfen die Gesellschafter nicht zum Buchwert Gegenstände erwerben, die einen höheren Verkehrswert haben, solange sich die Gesellschaft in der Zone der Unterbilanz befindet. Dies entspricht der heute ganz herrschenden Meinung, wenn auch der BGH in einer älteren, vereinzelt gebliebenen Entscheidung noch eine strikt bilanzielle Betrachtungsweise zugrunde gelegt hatte, indem er eine Erstattungspflicht eines Gesellschafters, dem eine der Gesellschaft zustehende Forderung im Widerspruch zu § 30 Abs. 1 GmbHG abgetreten worden war, nur i.H.d. Volumens bejaht hat, auf den die Forderung in der Gesellschaftsbilanz abgeschrieben worden war, nicht aber jedoch i.H.d. tatsächlich eingezogenen Betrages.
Rz. 33
Eine entsprechende Loslösung von der bilanziellen Sichtweise zugunsten der GmbH gilt in der Situation einer Unterbilanz für den Fall der Darlehensgewährung der Gesellschaft an den (solventen) Gesellschafter bei angemessener Verzinsung. Zwar ist der Vorgang bilanzrechtlich wegen der Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs der GmbH gegen den Gesellschafter als schlichter Aktivtausch erfolgsneutral, sodass sich die Unterbilanz nicht verändert. Ein effektiver Schutz des Stammkapitals setzt aber voraus, dass die liquide Haftungsmasse nicht durch eine (zeitlich hinausgeschobene) schuldrechtliche Forderung verschlechtert wird. Der BGH hat demzufolge in seinem viel beachteten sog. "Novemberurteil" entschieden, dass Kreditgewährungen an Gesellschafter, die nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen, sondern zulasten des gebundenen Vermögens der GmbH erfolgen, auch bei Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs als verbotene Auszahlung i.S.d. § 30 Abs. 1 GmbHG a.F. zu werten sind. Darauf hat der Gesetzgeber durch Einführung des MoMiG reagiert und Darlehen, die durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt sind, gem. § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. (bzw. § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG n.F.) von dem Ausschüttungsverbot des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG ausdrücklich ausgenommen. Die Konsequenz daraus ist die Abkehr des BGH von seiner im "Novemberurteil" dargelegten Auffassung. Damit kann nunmehr – auch für Altfälle – die bilanzielle Betrachtungsweise wieder zugrunde gelegt werden.
Liegen indessen die Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände des § 30 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 GmbHG nicht vor, so bleibt es dabei, dass ein Verstoß gegen § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nach § 31 Abs. 1 GmbHG zu einem sofort fälligen Rückgewähranspruch der Gesellschaft führt. Für dessen Bilanzierung und Realisierung bedarf es keines weiteren Gesellschafterbeschlusses. Insb. gilt § 46 Nr. 2 GmbHG nicht entsprechend. Ggü. dem Erstattungsanspruch darf – analog § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG – nicht aufgerechnet werden. Schließlich ist namentlich für die Bilanzierungspraxis bei der ausgleichsberechtigten GmbH von besonderer Bedeutung, dass der BGH inzwischen die Ansicht vertritt, ein einmal wegen Verstoßes gegen