Prof. Dr. Michael Fischer, Prof. Dr. Martin Cordes
Rz. 140
Bei aktiven Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) geht es darum, Ausgaben, die im aktuellen Wirtschaftsjahr noch keinen Aufwand darstellen, durch Aktivierung zu neutralisieren. Dies ist notwendig, wenn die Ausgaben nicht zu einem Vermögensgegenstand geführt haben. Die Anerkennung von RAP (zu sog. passiven RAP u. Rdn 168) ist Ausfluss einer dynamischen Bilanzauffassung, nach der sich die periodengerechte Gewinnabgrenzung nicht ausschließlich nach dem Begriff des Vermögensgegenstandes richten darf. Damit wird dem Zweck der Rechnungslegung, eine möglichst objektive Ermittlung des Periodenergebnisses zu schaffen, Rechnung getragen. Aufwendungen und Erträge sollen dem Wirtschaftsjahr ihrer Verursachung zugeordnet werden. Dies gilt auch für Fälle geringer Bedeutung, in denen es um Kleinstbeträge geht, denn aus Sicht des BFH lässt sich weder aus dem Wesentlichkeits- noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insofern ein gesetzliches Wahlrecht ableiten.
Beispiel
Die A-GmbH hat von V ein Ladenlokal für 48.000,00 EUR p.a. gemietet. Das Mietverhältnis hat am 1.10.2022 begonnen, wobei der Mietzins jährlich als im Voraus fällig vereinbart ist. Die Jahresmietzahlung erfolgt im Oktober. Die Ausgaben betragen im Beispielsfall 48.000,00 EUR, als Aufwand sind dem Geschäftsjahr 2022 allerdings nur die Mietzahlungen von Oktober bis Dezember zuzuordnen. Deshalb dürfen auch nur 12.000,00 EUR als Aufwand über die GuV-Rechnung berücksichtigt werden. Für die übrigen 36.000,00 EUR ist in der Schlussbilanz 2022 der A-GmbH ein aktiver RAP zu bilden.
Rz. 141
Einschränkend ist zu beachten, dass sich das deutsche Recht bei den RAP auf sog. transitorische Posten im engeren Sinne beschränkt. Die Zeit, für die Ausgaben vor dem Abschlussstichtag Aufwand nach dem Schlussstichtag sind, muss "bestimmt sein". Deshalb gehören Ausgaben der abgelaufenen Rechnungsperiode, die irgendeinen künftigen Nutzen versprechen, nicht zu den Rechnungsabgrenzungsposten i.S.d. Handelsbilanzrechts und müssen als sofort abzugsfähiger Aufwand ausgewiesen werden.
Beispiel
Die ABC-OHG möchte ein neues Produkt auf dem Markt einführen und betreibt im Geschäftsjahr 2022 einen hohen Werbeaufwand, der über den Abschlussstichtag hinaus nachwirkt. Die Zeit der Wirkung über den Abschlussstichtag hinaus ist nicht bestimmt.
Die von der OHG getätigten Aufwendungen führen mangels Leistungsaustauschs zu keinem aktivierungsfähigen (immateriellen) Vermögensgegenstand (dazu o. Rdn 135). Auch ein aktiver RAP darf nicht gebildet werden, weil der Aufwand für die Zeit nach dem Anschlussstichtag nicht "bestimmt" ist.
Rz. 142
Bei dem von § 250 Abs. 3 HGB genannten Disagio (= Differenz zwischen Erfüllungsbetrag einer Verbindlichkeit und niedrigerem Ausgabebetrag) liegt nach Ansicht des BFH der Sache nach ein entrichteter Zins und damit eine klassische Rechnungsabgrenzungskonstellation vor, also eine Ausgabe vor dem Abschlussstichtag, die den Grundsätzen des § 250 Abs. 1 Satz 1 HGB entspricht. Legt man dieses Verständnis zugrunde, ist der Sinn der Vorschrift darin zu sehen, die Abgrenzung des Unterschiedsbetrages von der Aktivierungspflicht nach § 250 Abs. 1 Satz 1 HGB auszunehmen, indem wahlweise das Disagio als Aufwand behandelt werden darf.