Prof. Dr. Michael Fischer, Prof. Dr. Martin Cordes
Rz. 35
Die Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften, besonders die §§ 19 und 30 GmbHG, sind nach ständiger Rspr. des BGH "das Kernstück des GmbH-Rechts", die "keine Aushöhlung" vertragen, "gleichviel in welcher Form". Nur wenn das den Zugriff der Gesellschaftsgläubiger allein zur Verfügung stehende Vermögen vollständig und richtig aufgebracht ist, erscheint es gerechtfertigt, die Haftung der hinter der Kapitalgesellschaft stehenden und sich dieser Gesellschaftsform für ihre wirtschaftliche Betätigung bedienenden Personen zu beschränken. Aus diesem Unversehrtheitsgrundsatz hat der BGH u.a. ein sog. Vorbelastungsverbot entwickelt. Soweit im Zeitpunkt der Entstehung der GmbH, also deren Eintragung in das Handelsregister, das Reinvermögen die Stammkapitalziffer nicht deckt, liegt eine Unterbilanz vor. I.H.d. Unterbilanz besteht eine unbeschränkt anteilige (Binnen-)Haftung aller Gesellschafter ggü. der entstandenen GmbH, die als sog. Vorbelastungs- bzw. Unterbilanzhaftung bezeichnet wird.
Aufgrund des systematischen Zusammenhangs zwischen Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung würde es nahe liegen, das Vorliegen einer Unterbilanz nach den gleichen Regeln festzustellen. Überraschenderweise vertritt der BGH allerdings die Ansicht, dass im Bereich der Kapitalaufbringung das Vorliegen einer Unterbilanz von einem besonderen Vermögensstatus abgeleitet werden müsse. Die handelsrechtlichen Buchwerte der Eröffnungsbilanz der (Vor-)GmbH sind nach dieser Rspr. nicht zugrunde zu legen. Entsprechend dem Zweck der Vorbelastungshaftung sind in dieser Vermögensbilanz die Posten und Werte so anzusetzen, als ob das Gesellschaftsvermögen im Zeitpunkt der Eintragung als Sacheinlage in das Gesellschaftsvermögen eingebracht worden wäre.
Rz. 36
Ansatz- und Bewertungsfragen in der Vorbelastungsbilanz werden intensiv diskutiert. Soweit Gründungskosten (z.B. Notar-, Gerichtskosten) analog § 26 Abs. 2 AktG in der Satzung als Gesamtbetrag gesondert festgelegt werden, dürfen diese in dem Vermögensstatus aktiviert werden. Die bislang umstrittene Frage, ob auch hinsichtlich der Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebes eine Aktivierung in Betracht kommt, hat der Gesetzgeber durch die ersatzlose Aufhebung der Bilanzierungshilfe des § 269 HGB verneinend beantwortet. Fraglich bleibt hingegen, ob Ansprüche gegen Sacheinlageverpflichtete zu aktivieren sind und insoweit die Unterbilanzhaftung mindern. Auf der Passivseite sind nach der Rspr. des BGH jedenfalls bei Fehlen einer (qualifizierten) Rangrücktrittsvereinbarung eigenkapitalersetzende Darlehen eines Gesellschafters in der Differenzhaftungsbilanz als Verbindlichkeit anzusetzen. Diese Auffassung dürfte vonseiten des Gesetzgebers im Zuge der grds. Gleichstellung eigenkapitalersetzender Darlehen mit solchen Gesellschafterdarlehen, die nicht in der Krise der Gesellschaft gewährt wurden, durch das MoMiG bestätigt worden sein.
Rz. 37
Wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Handelsregistereintragung bereits ein Unternehmen betreibt, sind die Bewertungsgrundsätze anzuwenden, die maßgebend sind, wenn ein Unternehmen als Sacheinlage in eine GmbH eingebracht wird. Dafür ist der Wert des Unternehmens nach den anerkannten Methoden der Unternehmensbewertung zu ermitteln. Anzuwenden ist die Ertragswertmethode, die – vereinfachend formuliert – in einer Kapitalisierung der künftig zu erwartenden Überschüsse besteht. Einschränkend führt der BGH aus, dass die Bewertung der Ertragskraft eines Unternehmens auf künftige Erfolgschancen im Regelfall nur dann gestützt werden könne, wenn die Voraussetzungen für die Nutzung der Chancen am Stichtag bereits im Ansatz geschaffen sind. Bei einem sog. "Start-up"-Unternehmen darf davon allerdings nur in engen Ausnahmefällen und erst dann ausgegangen werden, wenn das innovative Geschäftskonzept seine Bestätigung am Markt gefunden hat. Im Falle einer negativen Fortführungsprognose für die Gesellschaft ist deren Vermögen in der Bilanz im Zeitpunkt der Eintragung nicht zu Fortführungs-, sondern zu Veräußerungswerten zu bilanzieren.
Hinweis
Die Aufstellung einer Unterbilanz (Vorbelastungsbilanz) wird zwar vom BGH nicht generell verlangt. Liegen jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Unterbilanz im Zeitpunkt der Eintragung gegeben sein könnte, ist den Gesellschaftern zumindest aus Beweisgründen zu empfehlen, einen entsprechenden Vermögensstatus zu erstellen.