Prof. Dr. Michael Fischer, Prof. Dr. Martin Cordes
Rz. 122
Aufgrund des Realisationsprinzips darf sich ein Gewinn in der Bilanz erst dann widerspiegeln, wenn er durch ein Umsatzgeschäft verwirklicht worden ist. Schwebende Geschäfte erscheinen nicht in der Bilanz (dazu o. Rdn 121). Das Gesetz lässt allerdings offen, wann ein Umsatzprozess bilanzrechtlich in Erscheinung getreten ist, damit der Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte aufzugeben und die die Anschaffungs- und Herstellungskosten übersteigende Forderung Gewinn realisierend anzusetzen ist. Bei einem gestreckten Geschäftsvorfall sind in chronologischer Reihenfolge vier Zeitpunkte denkbar:
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Der Vertragsabschluss, |
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die Zahlung durch den Schuldner, |
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die Lieferung des Sachleistungsverpflichteten und |
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die Rechnungserteilung. |
Rz. 123
Nach herrschender Meinung tritt Gewinnrealisierung nach den (ungeschriebenen) GoB in dem Zeitpunkt ein, in dem der Sachleistungsverpflichtete die vereinbarte Lieferung oder (Dienst-)Leistung erbracht hat, weil er sich von nun an, abgesehen von den üblichen Gewährleistungs- und Forderungsrisiken, seines Zahlungsanspruchs aufgrund des Übergangs der Preisgefahr sicher sein kann. Von diesem Grundsatz ist auch dann auszugehen, wenn dem Käufer ein Rücktrittsrecht eingeräumt worden ist und dieses am Bilanzstichtag noch besteht. In diesem Fall ist jedoch bei überwiegender Wahrscheinlichkeit der Ausübung des Rücktrittsrechts eine Neutralisierung des Gewinns durch die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeit in Form der Rückzahlung des Kaufpreises zu bilden.
Die zum 1.1.2002 in Kraft getretene Schuldrechtsreform ändert an der bisherigen Sichtweise der Realisierung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen wohl nichts. Zwar sieht § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB die Verpflichtung des Verkäufers vor, die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Damit ist der frühere Streit zwischen Erfüllungs- und Gewährleistungstheorie überholt. Deshalb könnte man den Standpunkt vertreten, dass erst mit Ablauf der Gewährleistungsfrist, die beim Verbrauchsgüterkauf zwei Jahre beträgt, Erfüllung eintritt. Nichtsdestoweniger ist davon auszugehen, dass der Realisationszeitpunkt davon unberührt bleibt. Der Verkäufer darf nämlich davon ausgehen, dass er mit einer aus seiner Sicht mangelfreien Sache erfüllt habe, solange der Käufer nicht Nacherfüllung verlangt. Das generell bestehende Gewährleistungsrisiko mag pauschal oder im Einzelfall durch Gewährleistungsrückstellungen abgedeckt werden.
Rz. 124
Ein spezielles Problem bei der Gewinnrealisierung ergibt sich durch die Regelungen des Verbrauchsgüterkaufrechts, das im Wesentlichen auf die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und die Verbraucherrechterichtlinie zurückgeht. Ausgangspunkt der Problematik ist der Versendungskauf, § 447 BGB. Entscheidend für die Gewinnrealisierung ist die "wirtschaftliche Erfüllung" also der Übergang der Preisgefahr. Im Zuge des Verbrauchsgüterkaufs geht diese in Abweichung von § 447 Abs. 1 BGB gem. § 475 Abs. 2 BGB in aller Regel aber erst mit dem tatsächlichen Erhalt der Ware auf den Käufer über, weshalb eine taggleiche Buchung der Forderung mit dem Vertragsschluss/der Bestellung streng genommen nicht erfolgen dürfte. Eine Abweichung vom Realisationsprinzip unter Berufung auf § 252 Abs. 2 HGB wird allgemein als unzulässig erachtet.
Daran knüpft die Frage an, wie sich die entsprechenden Widerrufsrechte der §§ 312g und 356 BGB auswirken. Teilweise wird vertreten, dass eine Gewinnrealisierung erst nach Ablauf der entsprechenden Fristen erfolgen dürfe oder eine Realisation nebst entsprechender Rückstellungsbildung erfolgen müsse. Letztlich ergibt sich aber durch Widerrufs- oder Rückgaberechte keine Abweichung vom Übergang der Preisgefahr, weshalb die Gewinnrealisierung wie üblich mit Übergang der Preisgefahr erfolgt. Anlass zur Rückstellungsbildung kann sich z.B. durch Markterprobung neuer Produkte oder hohe Widerrufsquoten einzelner Produkte im Bereich des E-Commerce ergeben.
Rz. 125
Die Gewinnrealisierung tritt bilanztechnisch dadurch ein, dass die zu aktivierende Kaufpreisforderung mit ihrem Nennbetrag zu bewerten ist, während der veräußerte Vermögensgegenstand mit dem niedrigeren Buchwert ausgebucht wird. Denn bis zum Zeitpunkt der Gewinnrealisierung durfte der veräußerte Vermögensgegenstand höchstens mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten bewertet werden. Das Anschaffungswertprinzip bildet eine zwingende Bewertungsobergrenze (dazu u. Rdn 191, 195 ff.).
Rz. 126
Bei Veräußerung eines Grundstücks ist der maßgebliche Realisationszeitpunkt für eine Aktivierung der Kaufpreisforderungen in voller Höhe gegeben, wenn Besitz, Nutzen und Lasten auf den Erwerber übergegangen sind. Bei Dauerschuldverhältnissen ist von einer fortlaufenden Teilrealisierung "pro rata temporis" auszugehen. Der Ertrag entsteht also zeitanteilig und nicht erst bei Beendigung des Vertragsverhältnisses.
Hinweis
Buchhalterisch ist darauf hinzuweisen, dass beim V...