Prof. Dr. Michael Fischer, Prof. Dr. Martin Cordes
Rz. 272
In Zeiten zunehmender Internationalisierung und grenzüberschreitender Mobilität natürlicher Personen sind auch die Besteuerungsfolgen von Bedeutung, die das Steuerrecht an die Verlagerung des Wohnsitzes/der steuerlichen Ansässigkeit eines Unternehmers/Gesellschafters ins Ausland knüpft. Auch insoweit bestehen Unterschiede zwischen einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft bzw. einer Beteilung an einer Personengesellschaft oder einer einzelunternehmerischen Tätigkeit.
Gibt ein bisher inlandsansässiger Inhaber eines Einzelunternehmens oder Gesellschafter einer Personengesellschaft seinen inländischen Wohnsitz auf und verzieht ins Ausland ("Wegzug"), unterliegt er bei ansonsten unveränderter Unternehmenstätigkeit im Grundsatz auch nach einem Wegzug mit seinen Einkünften aus dem Einzelunternehmen bzw. der Personengesellschaft der deutschen Besteuerung (beschränkte Einkommensteuerpflicht auf die Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 49 EStG). Seine Steuerbelastung auf die Unternehmensgewinne ist gegenüber der vorherigen unbeschränkten Steuerpflicht weitgehend unverändert. Insbesondere behält Deutschland das Besteuerungsrecht bei einer Veräußerung des Einzelunternehmens bzw. des Anteils an der Personengesellschaften. Dementsprechend löst ein Wegzug in diesen Fällen in der Regel keine nachteiligen steuerlichen Folgen im Inland aus und führt insbesondere regelmäßig nicht zu einer Aufdeckung stiller Reserven im Rahmen einer sog. Entstrickung oder Wegzugsbesteuerung. Ausnahmen gelten, wenn Deutschland aufgrund des Wegzugs des Unternehmers/Gesellschafters der Personengesellschaften an einzelnen Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens das Besteuerungsrecht für Veräußerungsgewinne oder laufende Erträge verliert (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG). Dies kann – vereinfacht ausgedrückt – insbesondere für Anteile an Kapitalgesellschaften gelten, die im Einzelunternehmen bzw. von der Personengesellschaft gehalten werden, wenn zwischen dem Einzelunternehmen bzw. der Personengesellschaft und der Kapitalgesellschaft bzw. darunter angebundenen Gesellschaften keine nennenswerten Leistungsbeziehungen oder sonstige funktionale Verbindungen bestehen.
Rz. 273
Für natürliche Personen, die Anteile an Kapitalgesellschaften in ihrem Privatvermögen halten, und ins Ausland verziehen, gelten strengere Vorschriften. Hier wird nach § 6 AStG grds. eine Besteuerung (sog. "Wegzugsteuer") ausgelöst, da der Wegzug kraft gesetzlicher Fiktion einer Veräußerung der Anteile gleichgestellt wird. Unerheblich hierbei ist, ob der Wegzug in das EU-Ausland oder in Drittstaaten erfolgt. Ein dauerhafter Wegzug führt zur Aufdeckung stiller Reserven in den Anteilen an der Kapitalgesellschaft und ist daher mit erheblichen negativen steuerlichen Folgen verbunden. Die Wegzugsteuer kann ab 2022 auf Antrag des Steuerpflichtigen in sieben gleichen zinslosen Jahresraten entrichtet werden. Bis einschließlich 2021 war innerhalb der EU/des EWR eine dauerhafte, unverzinsliche Stundung möglich. Insofern wird – nach hier vertretener Auffassung zu Recht – angeführt, dass der aktuelle Ausschluss einer dauerhaften Stundung gegen die EU-Grundfreiheiten verstößt. Ein temporärer Wegzug, d.h. einen Wegzug mit Rückkehrabsicht (z.B. zu Ausbildungs- und Studienzwecken) bleibt ggf. ohne steuerliche Auswirkungen, da die Wegzugsteuer auf Antrag des Steuerpflichtigen zu stunden bzw. im Falle der Entrichtung nach der "Rückkehr" nach Deutschland innerhalb gewisser Fristen wieder aufzuheben ist. Allerdings sind auch insoweit zur Sicherstellung der Neutralität diverse Einzelheiten zu beachten und eine eingehende Beratung ist erforderlich.
Rz. 274
Folglich ist der Inhaber eines in Deutschland angesiedelten Einzelunternehmens bzw. der Gesellschafter einer Personengesellschaft mit inländischen Betriebsstätten bei der individuellen Wohnsitznahme im Ausland deutlich flexibler als der an einer Kapitalgesellschaft beteiligte Gesellschafter.