Prof. Dr. Michael Fischer, Prof. Dr. Martin Cordes
(1) Systematik
Rz. 307
§ 6b EStG eröffnet die Möglichkeit der Übertragung von stillen Reserven aus der Veräußerung bestimmter Wirtschaftsgüter auf gesetzlich definierte Reinvestitionsobjekte, um in ausgewählten Sachverhalten die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns bei Reinvestition zu verhindern. Es gilt der allgemeine steuerliche Veräußerungsbegriff. Demgegenüber sind Buchgewinne aus der Entnahme der begünstigten Wirtschaftsgüter nicht vom Anwendungsbereich des § 6b EStG erfasst. Das EStG sieht zwei Alternativen zur Übertragung stiller Reserven vor:
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Entweder können die aufgedeckten begünstigungsfähigen stillen Reserven im Wirtschaftsjahr der Veräußerung durch Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Reinvestitionsguts übertragen werden, das im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder im vorangegangenen Wirtschaftsjahr angeschafft oder hergestellt worden ist (Variante "Abzug") oder durch |
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Bildung einer gewinnmindernden Rücklage und anschließender Übertragung in den folgenden vier Wirtschaftsjahren, sechs Jahre bei neu hergestellten Gebäuden, soweit mit ihrer Herstellung vor dem Schluss des vierten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahres begonnen wurde (Variante "Rücklage"). |
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Beide Varianten werden in der Praxis häufig nicht hinreichend unterschieden. Insbesondere bei Reinvestition in einer anderen Personengesellschaft, an der der Steuerpflichtige beteiligt ist (vgl. dazu Rdn 398 ff.), wird häufig nur von der "Übertragung einer § 6b EStG-Rücklage" gesprochen, auch wenn das Reinvestionswirtschaftsgut im laufenden Wirtschaftsjahr oder im Vorjahr erworben wurde und damit ein Abzugsfall vorliegt. Die fehlende Unterscheidung führt dann häufig zu Ungenauigkeiten oder Fehlern in der Abbildung eines Übertragungsvorgangs in der steuerlichen Gewinnermittlung. Die Rücklage ist spätestens nach Ablauf der Reinvestitionsfrist aufzulösen. Eine freiwillige Auflösung kann zum Ende eines jeden Wirtschaftsjahres durchgeführt werden. Bei fehlender Reinvestition ist ein vom Gesetzgeber fiktiv festgelegter Zinsvorteil aus dem gestundeten Veräußerungsgewinn zusätzlich anzusetzen. § 6 Abs. 7 EStG sieht insofern eine außerbilanzielle, gewinnerhöhende Hinzurechnung von pauschal 6 % für jedes volle Wirtschaftsjahr vor, in dem die Rücklage bestanden hat. |
(2) Begünstige Veräußerungen und Reinvestitionen
Rz. 308
§ 6b EStG begünstigt ausschließlich den Gewinn aus der Veräußerung der im Gesetz abschließend aufgeführten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Ebenso benennt die Vorschrift die begünstigten Reinvestitionsgüter. Der Anwendungsbereich von § 6b EStG besteht im Wesentlichen auf Transaktionen mit Grundbesitz. Stille Reserven aus der Veräußerung von Grund und Boden kann auf Reinvestitionen in Grund und Boden sowie Gebäude überragen werden. Stille Reserven aus der Veräußerung von Gebäuden können nur auf Reinvestitionen in Gebäude, nicht jedoch für Reinvestitionen in Grund und Boden eingesetzt wurden. Daneben ist in betragsmäßig beschränktem Umfang ein Übertrag von stillen Reserven aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften möglich.
(3) Weitere Voraussetzungen
Rz. 309
Die Inanspruchnahme von § 6b EStG hat neben einem begünstigten Veräußerungs- sowie Reinvestitionsobjekt nach Maßgabe von § 6b Abs. 1 EStG auch weitere Voraussetzungen, die in § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1–5 EStG definiert sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei u.a. § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG. Danach ist notwendig, dass das betreffende Veräußerungsobjekt mind. sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört hat.
Zu den übrigen gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen i.S.d. § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3–5 EStG gehören die Gewinnermittlung nach Bestandsvergleich, die Zuordnung des neu angeschafften bzw. hergestellten Reinvestitionsguts zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte, die inländische Steuerpflicht des Veräußerungsgewinns sowie ein übersichtlicher Buchnachweis, anhand dessen sich die Bildung, Fortführung und Auflösung der Rücklage verfolgen lassen. Die Finanzverwaltung führt in R 6b.2 Abs. 3 Satz 2 EStR 2012 im Einzelnen auf, welche Angaben darüber hinaus für eine nachvollziehbare Buchführung erforderlich sind. Andere Formen zur Führung des Buchnachweises (z.B. die alleinige Darstellung in einem besonderen Verzeichnis) genügen den Ansprüchen nicht.