Rz. 41
Gerichtliche Entscheidungen entfalten als staatliche Hoheitsakte in einem anderen Staat nur dann Wirkungen, wenn dieser andere Staat (sog. Anerkennungs- oder Zweitstaat) sie anerkennt. Anerkennung bedeutet hierbei im Grundsatz, dass die materielle Rechtskraft und die Gestaltungswirkung der Entscheidung auf das Inland erstreckt werden, so dass der Kläger das ausländische Urteil im Inland durchsetzen kann. Bevor der Kläger aus einem ausländischen Urteil in Deutschland Rechte herleiten kann, wird das Urteil einer speziellen rechtlichen Prüfung unterzogen. Hierbei unterscheidet man zwischen den Anerkennungsvoraussetzungen, dem Verfahren der Vollstreckbarerklärung der ausländischen Entscheidung (sog. Exequaturverfahren) und dem anschließenden Vollstreckungsverfahren im Zweitstaat.
Das gesonderte Exequaturverfahren wird in vielen Fällen durch Staatsverträge erleichtert. Innerhalb Europas ist der EU-Gesetzgeber seit langem bemüht, die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen immer weiter zu vereinfachen. Als Folge der Rechtsetzungsaktivitäten auf EU-Ebene bestehen mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsregime für grenzüberschreitende Rechtssachen. Die wichtigsten Rechtsakte sind neben der EuGVO die EuEheVO und die EuUnthVO. Die Verordnungsregelungen werden durch das Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG) ergänzt. Darüber hinaus existieren mit der EuVTVO, der EuMahnVO und der EuGFVO vereinfachte Anerkennungs- und Vollstreckungsregelwerke, die auf ein Exequaturverfahren verzichten. Zusätzlich ermöglicht die neu geschaffene EuBvKpfVO seit dem 18.1.2017 unionsweit eine einheitliche, grenzüberschreitende Kontenpfändung und dient damit der Sicherung einer zukünftigen Vollstreckung.
a) EuGVO
Rz. 42
Die EuGVO unterscheidet zwischen der Anerkennung und der Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung. Die Anerkennung erfolgt ipso iure ohne besonderes Verfahren (Art. 36 Abs. 1 EuGVO), kann allerdings auf Antrag unter den Voraussetzungen des Art. 45 EuGVO versagt werden. Die Neufassung der EuGVO hat zudem das Exequaturverfahren zumindest formal abgeschafft (Art. 39 EuGVO), erlaubt den Mitgliedstaaten aber weiterhin eine inhaltliche Kontrolle ausländischer Titel. Denn nach Art. 46 EuGVO kann der Schuldner im Zweitstaat die Verweigerung der Vollstreckung beantragen, wenn einer der Anerkennungsversagungsgründe gem. Art. 45 EuGVO vorliegt. Danach kann nur in engen Ausnahmefällen, insbesondere bei der Verletzung von Verfahrensrechten und einem ordre public-Verstoß, die Anerkennung versagt werden. Eine Überprüfung der Richtigkeit des ausländischen Urteils ist ausgeschlossen (Verbot der révision au fond, Art. 52 EuGVO). Möglich ist aber eine Anpassung des Titels, wenn er eine im Recht des Zweitstaats unbekannte Maßnahme oder Anordnung enthält (Art. 54 Abs. 1 EuGVO).
Rz. 43
Die internationale Zuständigkeit des Urteilsstaats darf im Zweitstaat grundsätzlich nicht nachgeprüft werden, und zwar auch dann nicht, wenn kein vereinheitlichter Gerichtsstand gegeben war, sondern die internationale Zuständigkeit auf das autonome Zuständigkeitsrecht des Urteilsstaats gestützt wurde (Art. 45 Abs. 3 EuGVO). Ausnahmen vom Nachprüfungsverbot bestehen nur für die Verletzung der ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art. 24 EuGVO sowie für die einseitig zwingenden Gerichtsstände in Versicherungs- und Verbrauchersachen oder Arbeitsverhältnissen (Art. 45 Abs. 1 lit. e EuGVO).
Nach der EuGVO sind nicht nur klassische Urteile anerkennungsfähig, sondern grundsätzlich alle Entscheidungen, die einer Partei verbindlich etwas zusprechen oder aberkennen (vgl. Art. 2 lit. a EuGVO). Die Entscheidung muss nicht rechtskräftig sein. Nach Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 lit. a Unterabs. 2 S. 2 EuGVO können auch einstweilige Maßnahmen des zuständigen Hauptsachegerichts anerkannt und vollstreckt werden, sofern dem Antragsgegner rechtliches Gehör gewährt wurde oder ihm die Entscheidung vor der Vollstreckung zugestellt wird. Der ausländische Titel wird unter denselben Voraussetzungen wie eine inländische Entscheidung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats vollstreckt. Seit der Neufassung der EuGVO ist eine Vollstreckungsklausel nicht mehr erforderlich (§ 1112 ZPO). Es genügt eine vom Ursprungsgericht auszustellende Bescheinigung, dass die Entscheidung vollstreckbar ist (Art. 42 Abs. 1 lit. b, 53 EUGVO).