1. Beweisbeschaffung im Ausland
Rz. 31
Das Beweisverfahren kann bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten zu Schwierigkeiten führen, wenn sich wichtige Beweismittel im Ausland befinden und für die beweisbelastete Partei und das Gericht nicht ohne weiteres greifbar sind. Die Beweisaufnahme ist nach deutschem Verständnis hoheitliche Tätigkeit. Ohne Zustimmung des ausländischen Staates, die außer in Common-law-Staaten selten erteilt werden wird, kann ein deutsches Gericht daher auf fremdem Staatsgebiet nicht tätig werden, auch nicht zum Zwecke der Beweisaufnahme wie etwa zur Einnahme des Augenscheins. Das Gericht kann aber den Parteien aufgeben, sich im Ausland befindliche Urkunden zu beschaffen und vorzulegen; ebenso kann es das persönliche Erscheinen einer im Ausland lebenden Partei anordnen. § 128a ZPO erlaubt zudem eine audiovisuelle Zeugenvernehmung, falls die Parteien ihr Einverständnis erklären. Nach dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme besteht in der Regel sogar eine Pflicht zur Inlandsbeweisaufnahme. Etwas anderes folgt auch nicht aus der EuBVO, die nur fakultativen Charakter hat und nur eingreift, wenn das inländische Gericht eine Beweisaufnahme im Ausland für erforderlich hält. Soweit eine inländische Beweisaufnahme möglich ist, kann das Gericht eine unwillige Partei ggf. mit Prozessnachteilen sanktionieren, so dass es in der Praxis regelmäßig keiner Zwangsmaßnahmen bedarf. Ob und inwiefern die Beweisbeschaffung bzw. Beweissicherung im europäischen Rechtsraum darüber hinaus im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach Art. 35 EuGVO verwirklicht werden kann, ist (auch unter der Neufassung der EuGVO) äußerst umstritten.
2. Beweisaufnahme im Ausland
Rz. 32
Dagegen können gegenüber im Ausland wohnenden Zeugen oder Sachverständigen, die nicht freiwillig vor einem deutschen Gericht erscheinen wollen, keine Zwangsmaßnahmen ergriffen werden. In diesem Fall muss der Weg der internationalen Rechtshilfe beschritten werden. Nach § 363 ZPO kann die Beweisaufnahme hierbei durch ein ersuchtes ausländisches Gericht oder – wenig praxisrelevant – durch einen Bundeskonsul erfolgen. Alternativ kann das Gericht nach § 364 ZPO das Betreiben der Beweisaufnahme im Ausland auch dem Beweisführer überlassen; dieser Weg kann sich bei Beweisaufnahmen in Common-law-Staaten anbieten. So können etwa in den USA nach der sehr liberalen Rechtshilfenorm des 28 USC § 1782 auch die Parteien selbst einen Rechtshilfeantrag stellen.
Für die Durchführung eines Beweisrechtshilfeverfahrens sind neben bilateralen Abkommen vor allem die innerhalb der EU geltende Verordnung (EG) 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBVO) i.V.m. §§ 1072 ff. ZPO sowie im Verhältnis zu Drittstaaten das Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18.3.1970 (HBÜ) relevant. Das HBÜ soll vor allem die erheblichen Unterschiede zwischen den Beweisbeschaffungsrechten der USA einerseits und den europäischen Staaten andererseits überbrücken (sog. transatlantischer Justizkonflikt). Die EuBVO baut inhaltlich auf den Regelungen des HBÜ auf und entwickelt diese für den europäischen Rechtsraum mit dem Ziel der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung weiter. Danach gibt es zwei verschiedene Wege der Beweisaufnahme: Zum einen erlaubt Art. 2 EuBVO den unmittelbaren Geschäftsverkehr zwischen den Gerichten; Art. 11 und 12 sehen hierbei Anwesenheitsrechte der Parteien sowie eines Beauftragten des ersuchenden Gerichts vor. Zum anderen kann das Prozessgericht nach Art. 17 EuBVO selbst die Beweisaufnahme in dem ausländischen Staat durchführen. Zwangsmaßnahmen dürfen jedoc...