Dr. Wolfgang Kürschner, Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 20
§ 397 BGB beinhaltet zwei Tatbestände: In § 397 Abs. 1 BGB den Erlassvertrag und in § 397 Abs. 2 BGB – als Unterfall – das negative Schuldanerkenntnis; letzteres ist anders als das positive Schuldanerkenntnis formfrei, so dass der Unterscheidung zwischen konstitutivem und deklaratorischem negativen Anerkenntnis keine größere praktische Bedeutung zukommt. Ein in Kenntnis des (möglichen) Bestehens einer Forderung abgegebenes negatives Schuldanerkenntnis kann in der Regel nicht kondiziert werden, da oft ein Vergleich (§ 779 BGB) den Rechtsgrund bildet oder § 814 BGB zur Anwendung kommt. Ein Kondiktionsanspruch aus § 812 BGB kann jedoch begründet sein, wenn dem negativen Schuldanerkenntnis ein unwirksames Kausalgeschäft zugrunde liegt; so z.B. eine angefochtene Abrede über die Abgabe eines negativen Schuldanerkenntnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Eine bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses übliche Ausgleichsquittung stellt beispielsweise ein negatives Schuldanerkenntnis dar.
Rz. 21
Ein Erlass, § 397 Abs. 1 BGB, ist ein formfreier, abstrakter, verfügender Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner, durch den der Gläubiger auf eine Forderung verzichtet. Er betrifft das Schuldverhältnis im engen Sinne (Forderung) und unterscheidet sich dadurch vom Aufhebungsvertrag (contrarius consensus), der das Schuldverhältnis im weiten Sinne erlöschen lässt. Der Erlass unterscheidet sich ferner durch seine Folge – Erlöschen des Schuldverhältnisses – vom Stillhalteabkommen, dem pactum de non petendo, das für den Schuldner lediglich eine Einrede begründet, während der Erlass eine Einwendung ist. Das Angebot zum Abschluss eines Erlassvertrages wie auch dessen Annahme können konkludent erklärt werden, z.B. durch Erteilung einer Quittung. In jedem Falle muss das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages unmissverständlich erklärt werden. An die Feststellung eines Verzichtswillens sind strenge Anforderungen zu stellen. Wird in einem Prozess ein nicht als Teilforderung gekennzeichneter Zinsanspruch geltend gemacht, so kann dies als stillschweigender Erlass der Mehrforderung aufzufassen sein. Es muss freilich immer ein rechtsgeschäftlicher Wille zum Erlass der Forderung gegeben sein. Es ist ein Erfahrungssatz, dass ein Verzicht nicht zu vermuten und im Zweifel eng auszulegen ist.
Rz. 22
Die jahrelange Nichtgeltendmachung begründet eher die Annahme einer Verwirkung als die eines Erlasses. Wird ein beziffert geltend gemachter Schadensbetrag im Verlauf des Rechtsstreits vom Kläger reduziert, so sind an die Feststellung eines hierin liegenden Verzichtswillens des Klägers bezüglich weiter gehender Ersatzansprüche und an die Annahme eines insoweit stillschweigend geschlossenen Erlassvertrags strenge Anforderungen zu stellen. Kein Erlass wurde beispielsweise angenommen bei einer Erklärung des Kaskoversicherers, der Schädiger brauche sich um nichts mehr zu kümmern oder bei der Äußerung eines Geschädigten, wenn der Schädiger und nicht eine Versicherungsgesellschaft für den Unfall aufkommen müsse, werde er nichts verlangen. Selbst bei einer eindeutig erscheinenden Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind. Darüber hinaus gilt der Grundsatz, dass empfangsbedürftige Willenserklärungen möglichst nach beiden Seiten hin interessengerecht auszulegen sind. Stellt ein Rechtsanwalt nach teilweiser Regulierung eines Verkehrsunfallschadens gegenüber dem gegnerischen Haftpflichtversicherer eine Gebührenrechnung "nach Maßgabe des DAV-Abkommens", so kann allein daraus nicht der Schluss gezogen werden, er verzichte namens seines Mandanten auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche.
Rz. 23
Eine Handlungsweise, die allein darauf abzielt, den arglosen Vertragspartner auf unredliche und illoyale Weise in Schädigungsabsicht in Zugzwang zu setzen und zu überlisten, indem man ihn nach einem vorgefundenen Muster dazu bringt, auf ein unannehmbares Angebot ein vermeintliches Annahmeverhalten zu zeigen (sog. Erlassfalle), findet nicht den Schutz und die Billigung der Rechtsordnung. Es hängt von der Würdigung des jeweiligen Einzelfalles ab, ob sich aus der Einlösung eines Schecks durch eine Bank der Wille ergibt, das Angebot auf Annahme eines Erlassvertrages anzunehmen. Bei einem krassen Missverhältnis zwischen einer durch werthaltige Sicherheiten voll abgesicherten Schuld und angebotenem Restbetrag wird von einer Annahme in der Regel nicht auszugeben sein (hier: Restschuld 130.000 DM, Scheckbetrag 100 DM).
Rz. 24
Zu Recht hat das OLG München erkannt, dass Zweck eines "Angebotes" nur sein konnte, den anderen in eine sog. Erlassfalle zu locken, das heißt darauf zu spekulieren, der andere würde wegen der banküblichen Personalstruktur mit ihren getrennten Aufgabenbereichen im Rahmen des täglich anfallenden Massengeschäfts in Unkenntnis der dem Vorgang vom Kläger u...