Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 189
§ 1666 BGB ist Ausprägung des dem Staat gemäß Art. 6 Abs. 2 GG obliegenden Wächteramtes. Denn das Kind hat als Träger eigener Grundrechte Anspruch auf den Schutz des Staates.
Rz. 190
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein.
Rz. 191
Der staatliche Schutz der persönlichen Belange und Vermögensinteressen des Kindes ist jedoch erforderlich, wenn sich die sorgeberechtigten Eltern, Adoptiveltern bzw. der alleinsorgeberechtigte Elternteil als subjektiv ungeeignet zeigen, die Sorge für das gefährdete Kind auszuüben. Die Norm soll aber auch das Kind vor dem gefährlichen Verhalten Dritter (Pflege- und Stiefeltern sowie Geschwister) schützen. Das Familiengericht greift gestützt auf § 1666 BGB i.V.m. § 1666a BGB ein, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Eine solche Kindeswohlgefährdung bei psychischer Belastung der Mutter und Gefahr der Parentifizierung des Kindes gegeben sein.
Im gerichtlichen Verfahren ist i.d.R. ein Verfahrensbeistand zu bestimmen.
Rz. 192
Die anzuordnenden Maßnahmen sind grundsätzlich nur als vorübergehend anzusehen. Nach § 1696 Abs. 2 BGB müssen die Maßnahmen von Amts wegen aufgehoben werden, wenn eine Gefahr für das Wohl des Kindes nicht mehr besteht oder die Erforderlichkeit der Maßnahme entfallen ist.
Rz. 193
Praxistipp:
Im Rahmen einer Sorgerechtsentscheidung nach vorausgegangenem Entzug der elterlichen Sorge ist deshalb immer auch zu prüfen, ob der von der Maßnahme nach § 1666 BGB betroffene Elternteil die elterliche Sorge wieder erhalten kann.
Die Regelung des § 1666 Abs. 1 BGB ist die einheitliche Eingriffsgrundlage für staatliche Eingriffe in die elterliche Personen- und Vermögenssorge der Eltern bei vorhandenen Gefahren für das Kindeswohl und ermächtigt das Familiengericht, schützend einzugreifen, wenn die Eltern versagen.
Rz. 194
Nach § 1666 Abs. 4 BGB kann das Gericht in Angelegenheiten der Personensorge auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen. Damit erfasst die Norm aber nur natürliche Personen und andere private Rechtsträger, nicht aber Behörden, Regierungen und sonstige Träger staatlicher Gewalt. Denn § 1666 BGB gewährleiste den Anspruch des Kindes auf Schutz durch den Staat, nicht vor oder gegen den Staat. Es fehlt an einer Anordnungskompetenz des Familiengerichts gegenüber Hoheitsträgern wie Schulträgern oder einzelnen Lehrkräften.
Rz. 195
BGH, Beschl. v. 23.11.2016 – XII ZB 149/16
Zitat
1. Eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt.
2. Die Aufzählung der Ge- und Verbote in § 1666 Abs. 3 BGB ist nicht abschließend, so dass auch andere zur Abwendung der Gefahr geeignete Weisungen in Betracht kommen. Soweit diese einen erheblichen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen bedeuten, ist die Regelung in § 1666 Abs. 1 und 3 BGB nur dann eine ausreichende Grundlage, wenn es sich um die in § 1666 Abs. 3 BGB ausdrücklich benannten oder diesen vergleichbare Maßnahmen handelt.
3. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer gerichtlichen Maßnahme nach § 1666 BGB ist auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs in die elterliche Sorge und dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für das Kind zu beachten. Die – auch teilweise – Entziehung der elterlichen Sorge ist daher nur bei einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, nämlich ziemlicher Sicherheit, verhältnismäßig (Fortführung von BGH v. 26.10.2011 – XII ZB 247/11, FamRZ 2012, 99).
Rz. 196
Der einzige Maßstab für die nach dieser Norm anzuordnende Maßnahme ist das Kindeswohl. Eine räumliche Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen stellt jedoch den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar, der nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen beziehungsweise aufrechterhalten werden darf.
Rz. 197
BVerfG v. 13.7.2017 – 1 BvR 1202/17, juris
Zitat
1. Weil bereits der vorläufige Entzug der gesamten Personensorge einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Eltern darstellt, sind grundsätzlich auch bei einer So...