I. Straftaten innerhalb der Erbengemeinschaft
1. Einleitung
Rz. 5
Die mit strafrechtlichen Risiken bedrohten Verhaltensweisen vor und nach dem Entstehen von Erbengemeinschaften sind vielfältig. Allerdings ist in der Beratung festzustellen, dass bestimmte Fallkonstellationen gehäuft auftreten. Die hierbei regelmäßig wiederkehrenden und damit besonders praxisrelevanten Fragen sollen – ergänzt um Fallbeispiele – dargestellt werden, um die besondere Pflichtenkonstellation der Mitglieder der Erbengemeinschaften und ihre Einbindung in die Gemeinschaft zur gesamten Hand zu erfassen.
2. Deliktstypik
a) Urkundsdelikte, §§ 267 ff. StGB
Rz. 6
Übersicht
Urkundenfälschung, § 267 StGB
Tathandlungen:
▪ |
Herstellen oder Gebrauchen einer unechten Urkunde |
▪ |
Verfälschen einer echten Urkunde und/oder gebrauchen derselben Urkunde: |
▪ |
jede verkörperte menschliche Gedankenerklärung mit Beweisbestimmung und Eignung, die ihren Aussteller erkennen lässt |
▪ |
Unechtheit liegt vor, wenn sie nicht von demjenigen herrührt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht. |
▪ |
Aussteller ist derjenige, der geistig hinter der Erklärung steht (sog. Erklärungsgarant). |
Mittelbare Falschbeurkundung, § 271 StGB
▪ |
Jedermanndelikt (im Gegensatz zu § 348 StGB – Falschbeurkundung als Amtsträgerdelikt) |
Tathandlung:
▪ |
Bewirken der Beurkundung mit der Folge, dass öffentliche Urkunde entsteht, die inhaltlich unrichtig ist |
Tatobjekt:
▪ |
Öffentliche Urkunde: Jede Urkunde i.S.d. § 415 ZPO, in der eine "schriftliche Lüge" beurkundet ist, auf deren Richtigkeit sich die erhöhte Beweiskraft der öffentlichen Urkunde erstrecken muss |
Urkundenunterdrückung, § 274 StGB
Tathandlungen:
Vernichtung/Beschädigung/Unterdrückung einer echten Urkunde, die dem Täter nicht oder nicht ausschließlich gehört (Beweisführungsberechtigung)
Subjektiv: Vorsatz sowie Nachteilszufügungsabsicht als Folge des Vorenthaltens der Urkunde.
Rz. 7
Urkundsdelikte spielen in erbrechtlichen Sachverhaltsgestaltungen schon deshalb eine besondere Rolle, weil aufgrund des Erbfalles regelmäßig Urkunden das zentrale prozessuale Beweismittel darstellen. Der Urkundenfälschung und -unterdrückung ist deshalb breiterer Raum zu geben, weil diese eine erhebliche Rolle in der Beratung von Erbengemeinschaften spielen. Zum Beispiel bei Fällen, in denen die in einem privatschriftlichen Testament vorgesehene Erbengemeinschaft leicht dadurch unterminiert werden kann, dass der vor Ort wohnende gesetzliche Erbe Zugriff auf das Testament hat und das errichtete Testament beiseite schafft oder sogar vernichtet. Die Auswirkungen derartigen Verhaltens – bis hin zu der Frage, ob die spätere Erteilung eines Erbscheins sogar mittelbare Falschbeurkundung durch den Urkundenunterdrücker ist – sind darzustellen.
Die genannten Delikte verfolgen unterschiedliche Schutzrichtungen:
Schutzgut der Urkundenfälschung gem. § 267 StGB ist die Echtheit und Unverfälschtheit einer verkörperten menschlichen Gedankenerklärung mit Garantiefunktion (Urkunde) und nicht die inhaltliche Richtigkeit der Urkunde. Letztere wird nur bei öffentlichen Urkunden i.S.d. § 271 StGB (mittelbare Falschbeurkundung) geschützt. Schutzrichtung der Urkundenunterdrückung ist die Möglichkeit der Beweisführung mit Urkunden (§ 274 StGB). Mit der vorausgesetzten Nachteilszufügungsabsicht steht diese Norm im unmittelbaren Zusammenhang zu den Vermögensdelikten.
aa) Urkundenfälschung
Rz. 8
§ 267 StGB unterscheidet zwischen drei Modalitäten der Urkundenfälschung. Dem Herstellen einer unechten Urkunde (Vollfälschung) werden das Verfälschen einer echten Urkunde und das Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde gleich gestellt. Im erbrechtlichen Zusammenhang wird regelmäßig die Urkundseigenschaft des Testaments nicht in Frage stehen. Zu problematisieren sind hinsichtlich der Urkundsqualität im vorliegenden Zusammenhang nur zwei Fallkonstellationen:
Beispiel 1
Der Erblasser hat seinen letzten Willen auf mehreren losen Blättern handschriftlich niedergelegt, die Unterschrift befindet sich allerdings nicht hierauf, sondern auf dem die Blätter enthaltenden Umschlag.
Anders als im Zivilrecht ist die (strafrechtliche) Urkundseigenschaft einer solchen Erklärung zu bejahen. Das Strafrecht verlangt lediglich die hinreichende Verkörperung einer menschlichen Gedankenerklärung, die ihren Aussteller, d.h. den Erklärenden, erkennen lässt.
Unter diesen weiten strafrechtlichen Urkundsbegriff fallen mithin auch die losen Blätter einer Urkunde, die in dem die Unterschrift tragenden Umschlag verwahrt werden; sie reichen als verkörperte, d.h. mit einer Sache fest verbundene, und auch verständliche Gedankenerklärung durch den Aussteller aus. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn es an der Beweisbestimmung oder Beweiseignung fehlen würde.
Rz. 9
Beispiel 2
Der Erblasser hat im Beispiel 1 zum Ausdruck gebracht, dass die im Briefumschlag enthaltene Verfügung deshalb noch nicht unterschrieben ist, weil es sich um einen Entwurf handelt.
Bloße Entwürfe einer Urkunde unterfallen auch nicht dem weiten strafrechtlichen Urkundsbegriff. Da Urkunden bestimmt und geeignet sein müssen, Beweis zu erbringen und es sich bei letztwilligen Verfügungen ...