I. Einleitung
Rz. 107
Übersicht
Selbstanzeige – § 371 AO
Möglichkeit der Selbstanzeige bei Täterschaft/Teilnahme bzgl. § 370 AO
Anforderungen an Selbstanzeige Vollständigkeitsgebot für vergangene 10 Jahre
Sperrgründe
Ausschluss der Selbstanzeige bei §§ 372–374 AO sowie Begünstigung § 369 Abs. 1 S. 4 i.V.m. § 257 AO
Erstattung der Selbstanzeige persönlich oder durch einen bevollmächtigten Vertreter möglich
Selbstanzeige ohne Auftrag wird erst bei nachträglicher Genehmigung ex nunc wirksam
Inhalt: Grundsätze der Vollständigkeit/wahrheitsgemäßen Angabe/Materiallieferung
Wirkung: Persönliche Wirkung für den Selbstanzeigeerstatter im Umfang der inhaltlich erfolgten Erstattung
Adressat: Finanzbehörde gem. § 6 AO
Pflicht zur Nachzahlung auch der Zinsen als objektive Straffreiheitsvoraussetzungen
Zuschläge gemäß § 398a AO
Ausschlussgründe: Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung/Erscheinen eines Amtsträgers/Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens/Überschreitung der Wertgrenze von 25.000 EUR je Tat/Tatentdeckung (objektiv) und Wissenmüssen des Täters (subjektiv)
Rz. 108
Beispiel 36
K und B sind hälftige Miterben ihres am 2.1.2015 verstorbenen Vaters aufgrund seines notariellen Testaments, das vom Nachlassgericht eröffnet wurde (§ 2260 BGB) Das zuständige Finanzamt erfährt von Amts wegen vom Nachlassgericht, dass für die dortige Gebührenfestsetzung ein Gegenstandwert von 100.000 EUR festgesetzt wurde. Aufgrund dieser Information werden K und B nicht zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung aufgefordert. Beide geben auch keine Erklärung ab. Am 30.1.2018 geht eine Selbstanzeige der K ein, indem diese mitteilt, Mitte 2016 hätten sie und B völlig überraschend im Nachlass Bargeld und festverzinsliche Anlagen im Gesamtwert von 1,6 Mio. EUR gefunden, sie habe ihre Hälfte von 800.000 EUR unmittelbar in die Schweiz verbracht und sodann in den Jahren 2016, 2017 jährliche Zinseinkünfte von 40.000 EUR nicht erklärt. B wird von K am Tag der Abgabe der Selbstanzeige über ihr Vorgehen informiert.
Rz. 109
Sieht man einmal von der Ausnahme in § 266a Abs. 6 StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) ab, so kann ein Täter oder Teilnehmer bei keiner anderen vollendeten Straftat so schnell Straffreiheit erlangen, wie bei der (einfachen) Steuerhinterziehung gem. § 370 AO. § 371 AO konstituiert einen persönlichen Strafaufhebungsgrund, der dazu führt, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der Selbstanzeige sich der Täter Straffreiheit gewissermaßen erkaufen kann. Zentrales gesetzgeberisches Motiv ist denn auch durch die Selbstanzeige unbekannte Steuerquellen zu erschließen. Aufgrund dieser rein fiskalischen Erwägungen ist bei § 371 AO die Freiwilligkeit der Selbstanzeige keine Voraussetzung für die Straffreiheit. Anders ist dies z.B. beim ebenfalls als Strafaufhebungsgrund konzipierten Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB). Deshalb wird die heute geführte politische Diskussion über die Abschaffung der Selbstanzeige dem gesetzgeberischen Motiv nicht ansatzweise gerecht und es ist zu begrüßen, dass trotz der erneuten Einschränkungen mit dem Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014, das Institut formal erhalten geblieben ist.
Gibt also ein Miterbe seine Selbstanzeige nur deshalb ab, weil er von den anderen Mitgliedern der Erbengemeinschaft, die einen entsprechenden Nacherklärungswillen haben, faktisch gezwungen wird, so ändert dies nichts an seiner möglichen Strafbefreiung. Ein Rücktritt wäre in einer solchen Situation ausgeschlossen. Die Wertungswidersprüchlichkeit ist vom Gesetzgeber gesehen und bewusst in Kauf genommen.
Rz. 110
Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht ist strafbefreiender Tatausgleich; mit der Nachholung der Mitwirkung wird das Handlungsrecht und mit der Nachzahlung das Erfolgsunrecht kompensiert. In diese seit 1949 bestehende Konzeption der Wiedereingliederung wurde durch den zentralen Beschluss des BGH vom 20.5.2010 versucht einzugreifen, indem eine "Rückkehr in die Steuerehrlichkeit" als zusätzliche Voraussetzung postuliert wurde. Die gesetzgeberischen Initiativen des Jahres 2011 mit dem sog. Schwarzgeldbekämpfungsgesetz und die bereits erwähnten Restriktionen des Jahres 2015 liegen in derselben Linie, denn es wird nunmehr als Wirksamkeitsvoraussetzung der Selbstanzeige eine vollständige Berichtigung der letzten 10 Jahre, mithin für den gesamten Zeitraum der noch nicht festsetzungsverjährt ist, festgeschrieben. Dies macht die Selbstanzeige in Fällen der versäumten Berichtigung nach § 153 AO für die Gesamtrechtsnachfolger schwer handhabbar. Denn im Zeitpunkt des Erkennens eines Fehlers des Erblassers müssen sämtliche Jahre berichtigt werden, die noch nicht festsetzungsverjährt sind. Dies sind mindestens 10 Jahre. Wenn nun die Erbengemeinschaft sich nicht zu einer Berichtigung entschließen kann und zu lange wartet, wird sie angesichts der regelmäßig nur 10-jährigen Aufbewahrungspflicht nur noch (hoch) schätzen können im Hinblick auf die Al...