Dr. Michael Bonefeld, Katrin Heindl
Rz. 123
Nach dem zweiten Erbfall können Personen, denen die Aufhebung des gemeinschaftlichen Testaments oder einzelner in ihm enthaltener Verfügungen unmittelbar zustattenkommen würde, das gemeinschaftliche Testament oder einzelne in ihm enthaltene Verfügungen nach §§ 2078 ff. BGB anfechten, also durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht (§ 2081 BGB).
Praxishinweis
Die Erklärung muss nicht beurkundet werden (§ 2282 Abs. 3 BGB gilt nicht).
Rz. 124
Auch Pflichtteilsberechtigte, die zwischen der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments und dem zweiten Erbfall hinzugekommen sind, können die Verfügungen des überlebenden Ehegatten anfechten (§ 2079 BGB). So kann z.B. der neue Ehegatte des längerlebenden Ehegatten dessen Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament u.U. nach § 2079 BGB anfechten mit der Folge, dass ihm der gesetzliche Erbteil zufällt. Das Recht Dritter zur Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen des zuletzt verstorbenen Ehegatten ist jedoch beschränkt durch die entsprechend anzuwendende Bestimmung des § 2285 BGB:
Wenn der zuletzt verstorbene Ehegatte bei seinem Tod das Recht zur Selbstanfechtung eigener wechselbezüglicher Verfügungen durch Fristablauf oder Bestätigung (§§ 2283, 2284 BGB) verloren hatte, so können auch Dritte diese Verfügungen nicht mehr anfechten.
Diese Einschränkung gilt aber nur für wechselbezügliche Verfügungen; denn nur bei diesen sind die Vorschriften über die Selbstanfechtung des Erbvertrags (§§ 2281 ff. BGB) entsprechend anwendbar.
Praxishinweis
Hat der überlebende Ehegatte in dem gemeinschaftlichen Testament neben wechselbezüglichen Verfügungen auch einseitige getroffen und werden diese nach seinem Tod von Dritten nach §§ 2078 ff. BGB mit Erfolg angefochten, so kann die Unwirksamkeit der einseitigen Verfügungen nach § 2085 BGB als weitere Folgewirkung die Unwirksamkeit der wechselbezüglichen Verfügungen des zuletzt verstorbenen Ehegatten nach sich ziehen und diese wieder die Unwirksamkeit der wechselbezüglichen Verfügungen des erst verstorbenen Ehegatten.
Rz. 125
Die Anfechtungsfrist (§ 2082 BGB) selbst beginnt nicht vor dem Tod des länger lebenden Ehegatten zu laufen, und zwar unabhängig davon, wann er Kenntnis vom Anfechtungsgrund hatte. Durch die Anfechtung wird die angefochtene Verfügung selbst von Anfang an nichtig (§ 142 BGB), und zwar grundsätzlich ihrem vollem Umfang nach, soweit nicht die Anfechtung zulässigerweise auf einen Teil beschränkt wird. Hinsichtlich der sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die anderen im gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Verfügungen ist zu unterscheiden:
Rz. 126
Hinsichtlich der anderen nicht angefochtenen Verfügungen desselben Ehegatten ist diese Frage nach § 2085 BGB zu beantworten, sodass die Unwirksamkeit nur dann eintritt, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser die andere Verfügung nicht ohne die angefochtene gelten lassen wollte. Wechselbezügliche Verfügungen des anderen Ehegatten sind nach § 2270 Abs. 1 BGB zu beurteilen, sodass grundsätzlich die Anfechtung deren Nichtigkeit bewirkt, insb. auch die Unwirksamkeit der Verfügungen des Erstverstorbenen zugunsten des länger Lebenden. Dies bedeutet, dass grundsätzlich die gesetzliche Erbfolge eintritt, wenn nicht eine zunächst infolge der wechselbezüglichen Verfügung unwirksame Verfügung von Todes wegen dadurch wieder ihre Wirksamkeit erlangt. Ausnahmsweise ist die wechselbezügliche Verfügung des anderen Ehegatten dann nicht unwirksam, wenn zumindest im Wege der Auslegung anzunehmen ist, dass der andere Ehegatte seine Verfügung auch für diesen Fall so getroffen hätte. Der Fortbestand einseitiger, nicht wechselbezüglicher Verfügungen richtet sich wiederum nach der Auslegungsregel des § 2085 BGB.
Rz. 127
Der überlebende Ehegatte kann die Anfechtung nach § 2078 BGB auf einen Teil seiner letztwilligen Anordnung beschränken. Dagegen ergreift die Anfechtung nach § 2079 BGB grundsätzlich seine sämtlichen in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Verfügungen, freilich vorbehaltlich des Satzes 2 (Beschränkung auf den Teil der Verfügungen, die durch den Irrtum des Erblassers über das Pflichtteilsrecht verursacht sind).
Bei einer derartigen teilweisen Anfechtung richtet sich die Auswirkung auf die restlichen Verfügungen des Anfechtenden wiederum nach § 2085 BGB. Hinsichtlich der Prüfung der Auswirkungen der Teilanfechtung auf die wechselbezüglichen Verfügungen des anderen Ehegatten ist zu beachten, dass hier nur ein Teil der Verfügung nichtig ist.
Lässt sich daher feststellen, dass der andere Ehegatte seine Verfügung auch bei Kenntnis der daraus resultierenden teilweisen Unwirksamkeit des anderen getroffen haben würde, so ist abweichend von § 2270 Abs. 1 BGB der gesamte Fortbestand der anderen Verfügung anzunehmen; man kann hier von beschränkter Wechselbezüglichkeit sprechen.