Dr. Michael Bonefeld, Katrin Heindl
Rz. 102
Diese Bestimmung regelt einen Sonderfall des Motivirrtums und ergänzt diesen. "Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten" liegt vor, wenn ein Pflichtteilsberechtigter (siehe §§ 2303 ff. BGB) weder als Erbe eingesetzt noch mit einem Vermächtnis bedacht ist. Ganz geringfügige Zuwendungen müssen dabei außer Betracht bleiben. Der Pflichtteilsberechtigte kann aber dann nicht anfechten, wenn ihn der Erblasser ausdrücklich ausgeschlossen oder bewusst übergangen hat. Umstritten ist, ob ein "Übergehen" auch dann vorliegt, wenn der Erblasser Personen in Unkenntnis ihrer späteren Pflichtteilsberechtigungen Zuwendungen gemacht hat, die hinter ihrem gesetzlichen Erbteil zurückbleiben.
Beispiel
Vermächtnis an die Haushälterin, die der Erblasser später heiratet.
Nach richtiger Ansicht sollte hier § 2079 BGB nicht angewandt werden, unter Umständen ist aber eine Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB möglich. Die Unkenntnis kann hier auch auf einem Rechtsirrtum beruhen, und zwar dann, wenn über den Inhalt des § 2303 BGB Unkenntnis besteht.
Rz. 103
Bei § 2079 BGB wird die Ursächlichkeit zwischen Unkenntnis der Pflichtteilsberechtigung und Verfügung vom Gesetz vermutet. Jedoch ist diese Vermutung widerlegbar, wobei genügt, dass der tatsächliche Wille des Erblassers zur Übergehung des Pflichtteilsberechtigten nachgewiesen ist, etwa in dem Fall, dass der Erblasser eine spätere Eheschließung einkalkuliert hat. Dabei kommt es auch hier nur auf die Sichtweise des Erblassers selbst an, nicht auf eine verständige Würdigung (subjektive Erheblichkeit). Auf diesen Willen des Erblassers kann aus Umständen die vor, bei und nach der Testamentserrichtung vorlagen, geschlossen werden. Aus der Tatsache, dass der Erblasser sein Testament nach der Wiederverheiratung nicht änderte, kann allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass er bei dessen Errichtung bereits den Willen hatte, den zweiten Ehegatten zu übergehen. Hierzu bedarf es im Einzelfall der Feststellung, dass der Erblasser die Testamentsänderung absichtlich unterlassen hat.
Rz. 104
Die Widerlegung ist auch dann möglich, wenn sich ein entsprechender hypothetischer Wille zur Zeit der Testamentserrichtung ermitteln lässt. Die Wirkung der Anfechtung nach § 2079 BGB betrifft zunächst die betreffende Verfügung. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass die Anfechtung nach dieser Vorschrift sämtliche in dem Testament erfassten Verfügungen erfasse und somit weitergehe als die Anfechtung nach § 2078 BGB, weil die Anfechtung aufgrund der Berücksichtigung eines weiteren Erben alle Erbteile verschieben würde. Dies ist allerdings nicht unumstritten, und zutreffender Weise wird sich hier die Anfechtungswirkung nicht anders als nach § 2078 BGB behandeln lassen dürfen.