Dr. Michael Bonefeld, Katrin Heindl
Rz. 112
Die Anfechtung eines gemeinschaftlichen Testaments spielt in der Praxis häufig eine große Rolle, um damit dem überlebenden Ehegatten die Testierfreiheit wiederzugeben, wenn er wegen § 2271 BGB an die gemeinschaftliche Verfügung gebunden ist und die Begünstigten keinen Zuwendungsverzicht aussprechen.
1. Zu Lebzeiten beider Ehegatten
Rz. 113
Zu Lebzeiten beider Ehegatten kann keiner von ihnen das gemeinschaftliche Testament anfechten, weil einer der Ehegatten es, wenn auch in modifizierter Form, widerrufen kann; es besteht kein Anfechtungsbedürfnis. Eine Anfechtung durch Dritte scheidet ebenfalls aus, da noch kein Erbfall vorliegt.
2. Nach dem Tod des Erstversterbenden
Rz. 114
Nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten bestehen die folgenden Anfechtungsmöglichkeiten.
a) Anfechtung durch Dritte
Rz. 115
Dritte können die in dem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügungen des erstverstorbenen Ehegatten nach den allg. Vorschriften der §§ 2078 ff. BGB anfechten. Insbesondere können Pflichtteilsberechtigte, die zwischen der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments und dem ersten Erbfall geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden sind (z.B. ein nach dem gemeinschaftlichen Testament geborenes Kind des Erblassers), die Verfügungen des verstorbenen Ehegatten anfechten (§§ 2079, 2080 Abs. 3 BGB).
Rz. 116
Verfügungen des überlebenden Ehegatten können Dritte jedoch erst nach dessen Tod anfechten, da das Anfechtungsrecht erst mit dem Eintritt des entsprechenden Erbfalls entsteht.
b) Anfechtung durch den überlebenden Ehegatten
Rz. 117
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Verfügungen des Verstorbenen: Der überlebende Ehegatte kann die Verfügungen des verstorbenen Ehegatten nach der allg. Regel des § 2078 BGB anfechten. |
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Anfechtung eigener Verfügungen: Die Selbstanfechtung seiner eigenen wechselbezüglichen Verfügungen durch den länger lebenden Ehegatten ist unter denselben Voraussetzungen und in gleicher Weise möglich wie bei vertragsmäßigen Verfügungen in einem Erbvertrag (§§ 2281 ff., 2078 ff. BGB). Die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften des Erbvertragsrechts ist hier gerechtfertigt, weil für den überlebenden Ehegatten hinsichtlich seiner wechselbezüglichen Verfügungen eine ähnliche Bindung entstanden ist, wie beim Erbvertrag, und die Gleichheit der Interessenlage die Schließung der Regelungslücke durch diese Vorschriften gebietet. Vor allem kommt eine Anfechtung aufgrund Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten, § 2079 BGB, insb. bei einer Wiederverheiratung in Betracht, aber auch die Fälle des § 2078 BGB können bedeutsam werden. |
Rz. 118
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Anfechtungsvoraussetzung ist auch hier, dass der Überlebende bei Kenntnis der Sachlage seine Verfügung nicht so getroffen hätte (§§ 2078 Abs. 1 und 2, 2079 S. 2 BGB). Dabei ist streitig, ob auch auf den Willen des Verstorbenen abzustellen ist. Da es sich hier aber auch bei wechselbezüglichen Verfügungen um eigenständige handelt, muss für die Bewertung allein auf den Willen desjenigen Ehegatten abgestellt werden, dessen Verfügung angefochten wird; das Interesse des anderen Ehegatten am rechtlichen Schicksal seiner eigenen Verfügung wird durch § 2270 Abs. 1 BGB gewahrt. |
Rz. 119
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Eigene einseitige Verfügungen kann der überlebende Ehegatte ebenso wenig anfechten wie der Erblasser, der in einem Erbvertrag eine einseitige Verfügung getroffen hat; denn es fehlt am Anfechtungsbedürfnis, da er diese Verfügung ja widerrufen kann (§§ 2253 ff., 2299 BGB). |
Die Selbstanfechtung nach §§ 2079, 2281 ff. BGB kommt vor allem dann in Frage,
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wenn der überlebende Ehegatte wieder heiratet, |
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wenn aus der neuen Ehe Kinder hervorgehen oder |
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wenn er nach dem ersten Erbfall ein Kind adoptiert. |
Um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die bei Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten dadurch entstehen können, dass dieser selbst oder sein neuer Ehegatte oder ein Kind aus der neuen Ehe das gemeinschaftliche Testament anficht, kann es empfehlenswert sein, einen Verzicht auf das Anfechtungsrecht in der letztwilligen Verfügung auszusprechen, der aufgrund des § 2079 S. 2 BGB die Anfechtung nach Satz 1 ausschließt.
Praxishinweis
Unzulässig ist die Selbstanfechtung, wenn der überlebende Ehegatte die Voraussetzungen der Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB selbst durch ein sittenwidriges oder durch ein gegen Treu und Glauben verstoßendes Verhalten herbeigeführt hat. Wenn eine Adoption nur dazu dient, die Anfechtung eines gemeinschaftlichen Testaments zu ermöglichen, so ist die auf sie gestützte Anfechtung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig.
Rz. 120
Wenn die Anfechtung durchdringt, so bewirkt sie auch, dass ein früheres Testament, das durch das gemeinschaftliche Testament aufgehoben worden war, oder ein späteres Testament, das aufgrund des Widerspruchs mit wechselbezüglichen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments zunächs...