Dr. Michael Bonefeld, Katrin Heindl
Rz. 39
Bekanntlich hat sich der Pflichtteilsberechtigte nur dann Zuwendungen nach § 2315 BGB auf seinen Pflichtteil anrechnen zu lassen, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt der Zuwendung diese Anrechnung angeordnet hat. Nach § 1380 Abs. 1 S. 1 BGB gilt hingegen im Zweifel automatisch jede Zuwendung als auf den Zugewinn anrechenbar, sofern sie den Wert von Gelegenheitsgeschenken übersteigt. Dies hat für die Praxis erhebliche Auswirkungen.
Praxishinweis
Um also eine nachträgliche Anrechnung einseitig als Erblasser erreichen zu können, hilft somit aufgrund von § 2327 BGB lediglich eine Flucht in den Pflichtteilsergänzungsanspruch oder die Flucht in die Zugewinnanrechnung über § 1380 BGB.
Rz. 40
Hat der Erblasser keine Anrechnungsbestimmung veranlasst, so kommt es folgerichtig nicht zur Kollisionsproblematik zwischen Anrechnung auf den Zugewinn oder Pflichtteil.
Rz. 41
Ist es zur Bestimmung der Anrechnung nach § 2315 BGB gekommen, stellt sich das Problem der Reihenfolge der Anrechnung, wenn gleichzeitig eine Zuwendung an den Ehegatten nach Maßgabe des § 1380 BGB erfolgt ist. Nur in den wenigsten Fällen wird nämlich eine Reihenfolge durch den Erblasser bestimmt. Dieses Problem wird in der Lit. unterschiedlich gelöst, wenn der Erblasserwille nicht ohne weiteres erkennbar ist.
Rz. 42
Nach der wohl h.M. soll grundsätzlich zunächst immer eine Anrechnung auf den Pflichtteil erfolgen und der nicht verbrauchte Rest ist anschließend auf den Zugewinn anzurechnen.
Dies wird damit begründet, dass entsprechend dem Gedanken des § 366 Abs. 2 BGB zunächst auf diejenige Forderung angerechnet werden muss, die für den Ehegatten die weniger sichere ist. Die Argumentation ist jedoch nicht unproblematisch. Zwar steht die Zugewinnausgleichsforderung des überlebenden Ehegatten insolvenzrechtlich den Erblasserschulden gleich und geht daher dem Pflichtteilsanspruch, der eine Erbfallschuld darstellt, vor (§ 327 Abs. 1 Nr. 1 InsO), doch ist eine Nachlassinsolvenz an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die aber im Fall des Bestehens eines Zugewinn- oder Pflichtteilsanspruchs meist nicht gegeben sind.
Rz. 43
Eine Anrechnung auf den Zugewinnausgleichs- oder Pflichtteilsanspruch kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen sich eine derartige Forderung überhaupt realisieren lässt. Ist der Nachlass indes überschuldet, entfallen meist auch Zugewinnausgleichs- oder Pflichtteilsansprüche. Insoweit ist mehr auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise abzustellen. Regelmäßig ist bei ungesicherten Forderungen zunächst auf die Forderung zu leisten, die früher verjährt.
Rz. 44
Sowohl der Zugewinnausgleichsanspruch wie auch der Pflichtteilsanspruch verjähren nach der Schuldrechtsmodernisierungsreform innerhalb der Regelverjährungsfrist von drei Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von seinem Anspruch Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§§ 195, 199 BGB). Bei der Zugewinnausgleichsforderung bezieht sich das Wissen auf die Beendigung des Güterstandes, also die Kenntnis vom Tod des Ehegatten. Beim Pflichtteilsanspruch ist neben der Kenntnis vom Tod auch die Kenntnis von der beeinträchtigenden Verfügung erforderlich. Dementsprechend wird hier häufig eine längere Verjährungsfrist greifen.
Würde der Argumentation der Anwendbarkeit des § 366 Abs. 2 BGB gefolgt werden, müsste also eher eine Anrechnung zuerst auf den Zugewinn erfolgen.
Rz. 45
Fraglich ist aber bereits, ob § 366 Abs. 2 BGB überhaupt auf die Anrechnungsproblematik Anwendung finden kann. Wie oben bereits erläutert, handelt es sich bei beiden Ansprüchen um Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 1967 BGB, wobei lediglich der Zugewinnausgleichsanspruch eine Erblasserschuld ist. § 366 Abs. 2 BGB lautet aber: "Trifft der Schuldner keine Bestimmung…." Der Erblasser ist aber gerade kein Schuldner der Pflichtteilsforderung und war dies auch nicht zu Lebzeiten. Hier lässt sich jedoch zulässigerweise auf den Rechtsgedanken des § 366 BGB zurückgreifen.
Ein weiterer Nachteil dieser Berechnungsweise ist, dass regelmäßig der Ehegatte im Endergebnis schlechter gestellt wird, als wenn er ohne Empfang der Zuwendung gestanden hätte.
Nach a.A. ist aufgrund der Systematik der Ausgleichungs- und Anrechnungsvorschriften genau umgekehrt anzurechnen, also zuerst auf den Zugewinn nach § 1380 BGB und dann auf den Pflichtteil. Der Hinweis auf die Systematik geht aber fehl, da das Verhältnis Zugewinn zum Pflichtteil nicht mit dem der Ausgleichungsbestimmungen nach §§ 2050 ff. BGB zum Pflichtteilsrecht vergleichbar ist.
Rz. 46
Nach Ansicht von v. Olshausen ist zunächst im Zweifel auf den Pflichtteil einzelfallabhängig anzurechnen und zwar in der Form, dass auf jeden Fall der Zuwendungsempfänger nach Berechnung des Zugewinns nicht besser stehen darf, als er ohne die Zuwendung stehen würde bzw. als wenn der Gegenstand als auszugleichender Zugewinn im Vermögen des Zuwendenden verblieben wäre. Eine...