a) Interessenkollision im Laufe des Mandats
Rz. 29
Bei der Frage nach dem Schicksal des anwaltlichen Gebührenanspruchs im Falle der Vertretung widerstreitender Interessen vertrat der IX. Senat des BGH im Jahr 2009 eine äußerst "anwaltfreundliche" Linie. Man durfte sich aber schon damals fragen, ob es tatsächlich im Sinne der Anwaltschaft sein konnte, dass auch der Anwalt, der widerstreitende Interessen vertritt, seinen Gebührenanspruch nicht verliert. Wörtlich hieß es in der Entscheidung vom 23.4.2009, dass der
"Verstoß des Rechtsanwalts gegen die Regelung des § 43a Abs. 4 BRAO grundsätzlich weder zur rückwirkenden Nichtigkeit des Anwaltsvertrags (führt) noch läßt er den Anspruch auf gesetzliche Gebühren entfallen, wenn der Verstoß zu einem Zeitpunkt geschieht, in dem der Rechtsanwalt die Gebühren bereits verdient hat. In diesem Fall hat der Rechtsanwalt die das Mandatsverhältnis prägenden Dienstleistungen bereits erbracht. (…) Durch das Verbot des § 43a Abs. 4 BRAO soll das Vertrauensverhältnis des Anwalts zum Mandanten, die Wahrung der Unabhängigkeit des Anwalts und das Interesse des Gemeinwohls in Gestalt der in der Rechtspflege gebotenen Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung geschützt werden. (…) Für die Vergangenheit bleiben (alle Mandate in derselben Rechtssache) bestehen. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Rechtsanwalt auch solche Honoraransprüche verlieren würde, die er erlangt hat, bevor ein Verstoß gegen widerstreitende Interessen vorlag. Eine entsprechende Sanktion kann § 43a Abs. 4 BRAO nicht entnommen werden. Die gegenteilige Auffassung der Revisionsbegründung verkennt, dass die Vorschrift nicht die Bestrafung eines "Überläufers" durch die rückwirkende Entziehung des gesamten Honoraranspruchs bezweckt, sondern vielmehr den Anwalt zukunftsgerichtet dazu anhalten soll, widerstreitende Interessen nicht zu vertreten. Die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB – wollte man sie auf den Verstoß gegen § 43a BRAO anwenden ist deshalb jedenfalls nicht rückwirkend anwendbar."
Rz. 30
Die Anwaltschaft steht sicherlich nicht im Verdacht, vom BGH unsachgemäß bevorzugt zu werden. Einige Formulierungen dieser Entscheidung lassen sich danach nur mit Verwunderung oder sogar Unverständnis zur Kenntnis nehmen: Der Anwalt soll lediglich "zukunftsgerichtet dazu angehalten (werden), widerstreitende Interessen nicht zu vertreten"? Wie oft darf denn ein Anwalt sich derart "zukunftsgerichtet anhalten" lassen, ehe auch nach Auffassung der damaligen Senatsmitglieder die Rechtsfolge und das –äußerst milde – "Sanktionsmittel" des Gebührenverlustes angezeigt wäre? Der BGH musste sich dabei nicht entscheiden, welchen Beurteilungsmaßstab er anlegt (objektiv, subjektiv oder objektiv-subjektiv; vgl. hierzu bereits oben Rdn 18 ff.), da der Interessenwiderstreit hier durch die spätere Annahme eines Mandats auftrat: Der Rechtsanwalt hatte nacheinander eine GmbH & Co. KG vertreten und – ohne dass dieses Mandat beendet war – später ehemalige Gesellschafter der GmbH & Co. KG mit gegenläufigen Interessen. Bis zu dem Zeitpunkt der Vertretung der Gesellschafter verdiente Gebühren durfte der Rechtsanwalt berechnen. Ergänzend bemerkt der BGH noch, dass "die bloß fahrlässige oder auch grob fahrlässige Verletzung anwaltlicher Pflichten (…) die Voraussetzungen für einen Verlust des Vergütungsanspruchs nicht aus(füllt)." Die Frage einer möglichen Aufklärungspflichtverletzung des Anwalts (Risiko der Notwendigkeit der Mandatsniederlegung und daraus resultierender Schadensersatz in Höhe der Vergütung eines neu zu beauftragenden Rechtsanwalts) wurde hier nicht diskutiert.
b) Interessenkollision bei Beginn des Mandats
Rz. 31
Verstößt der Anwalt bereits bei Annahme des Mandats gegen das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen, ist der Anwaltsvertrag von Anbeginn an nichtig und es entsteht kein Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts. Selbst wenn die Beratung nützlich gewesen sein sollte, der oder die Mandanten außerdem keinen neuen Anwalt beauftragen und daher keine neuerliche Vergütung für eine Wiederholung der Beratung zahlen müssen, kann ein Anwalt keine Vergütung fordern, dessen Anwaltsvertrag aufgrund eines Verstoßes gegen § 43a Abs. 4 BRAO nichtig ist: "Berufs- und strafrechtliche Sanktionen (§§ 113 ff. BRAO, § 356 StGB) reichen insoweit nicht aus". Diese Formulierung klingt schon deutlich anders als die milden Worte des IX. Senats in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2009 (vgl. hierzu oben Rdn 29). Der Unterschied der Entscheidungen lag jedoch vor allen Dingen darin, dass der Entscheidung aus 2009 der Interessengegensatz erst im Laufe des Mandats aufgetreten war und zuvor – zu einem Zeitpunkt als der Anwalt (noch) keine widerstreitende Interessen vertreten hatte – bereits Gebü...