Rz. 32
Vier Jahre nach der o.g. Entscheidung des BGH von 2009 hatte der IV. Senat die Frage einer Interessenkollision bei einem erbrechtlichen Sachverhalt zu beurteilen. Der Rechtsanwalt vertrat die Kinder des Erblassers bei der Geltendmachung ihrer Pflichtteilsansprüche gegen die Alleinerbin. Das Verfahren wurde rechtskräftig abgeschlossen. Nunmehr vertrat der Rechtsanwalt die Mutter der Kinder bei der Abwehr einer Nachlassforderung, die die Alleinerbin gegen die Mutter der Kinder geltend macht. Nach Hinweis des Gegners auf die vormalige Vertretung der Kinder im Rahmen der Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche, wurde vom LG die Beiordnung des Rechtsanwalts ausnahmsweise rückwirkend aufgehoben. Dabei sah es das LG auch als unerheblich an, ob die Mandanten des Rechtsanwalts mit der Vertretung in beiden Verfahren einverstanden gewesen seien:
Zitat
"Unerheblich ist auch, ob die Parteien über die Vertretung durch den Beigeordneten informiert und damit einverstanden sind. Das Verbot der Doppelverteidigung unterliegt grundsätzlich nicht der Dispositionsbefugnis der Parteien, weil dieses Verbot gerade nicht nur ihrem Schutz, sondern auch dem Schutz des Vertrauens der Allgemeinheit in die Anwaltschaft und in die Funktion der Rechtspflege dient, so dass eine Einwilligung der Parteien nicht geeignet ist, den Interessenkonflikt auszuräumen".
Das OLG teilte ausdrücklich auch dieses Argument im Rahmen seiner Nichtabhilfeentscheidung. Die zugelassene Rechtsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen: Der BGH sah gleichfalls einen Fall der Interessenkollision, der eine rückwirkende Aufhebung der Beiordnung rechtfertigt und hielt die Feststellung des OLG, dass "keine Anhaltspunkte für eine den Interessenwiderstreit etwa entschärfende oder gar ausschließende Beschränkung bei der Erteilung des Erstmandats vorgetragen oder sonst ersichtlich" seien, für zutreffend. Der rückwirkende Wegfall des entstandenen Gebührenanspruches des beigeordneten Rechtsanwalts ist vom Gesetz nicht vorgesehen und grundsätzlich nicht zulässig. Das OLG half sich hier mit einem Rückgriff auf § 48 Abs. 2 VwVfG, um dem Rechtsanwalt rückwirkend seinen Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zu versagen. Der BGH trat dieser Argumentation nicht entgegen. Die Entscheidung des IX. Senats vom 23.4.2009 war dem IV. Zivilsenat dagegen nicht einmal ein Halbsatz, geschweige denn eine Erörterung Wert gewesen. Die Argumentation des OLG über § 48 Abs. 2 VwVfG mag nicht nur auf den ersten Blick kühn wirken (das LG hatte mit der Nichtigkeit nach § 134 BGB argumentiert), genau betrachtet war dafür gar kein Raum. Ersichtlich haben LG, OLG und ihnen folgend der BGH das Ziel verfolgt, den Rechtsanwalt für sein Verhalten rückwirkend den Gebührenanspruch zu nehmen – oder um es mit den Worten des IX. Senats zu formulieren "den Überläufer durch rückwirkende Entziehung des gesamten Honoraranspruches" zu bestrafen. Diese rückwirkende Versagung des Anspruches gegen die Staatskasse wäre jedoch gleichermaßen über § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO möglich gewesen, da der Anwalt die Interessenkollision und die daraus resultierende Nichtigkeit des Anwaltsvertrages von Anbeginn an erkennen konnte – und auch musste: Die Aufhebung hat er folglich schuldhaft (mit) herbeigeführt.