1. Mandatsbeendigung
Rz. 23
Auch bei erklärtem Einverständnis des Mandanten (vgl. hierzu oben Rdn 20) muss der Rechtsanwalt unverzüglich die einzig mögliche Konsequenz ziehen, wenn sich im Laufe des Mandats ein Interessengegensatz herausstellt:
Die Beratung und Vertretung sämtlicher Mandanten in dieser Angelegenheit muss durch den Anwalt beendet werden, § 3 Abs. 4 BORA.
Rz. 24
Der Anwalt ist für jede weitere Tätigkeit mindestens in dieser Nachlasssache ausgeschlossen, unter Umständen aber auch für darauffolgende Auseinandersetzungen oder Erbfälle: Der Rechtsanwalt hat Wissen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mitgeteilt bekommen, was er nun möglicherweise gegen seinen ehemaligen Mandanten einsetzen würde/könnte/müsste. Genau dies soll – auch – durch das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen verhindert werden.
2. Nichtigkeit des Anwaltsvertrages
Rz. 25
Der BGH hat über Jahrzehnte die umstrittene Frage offen gelassen, ob ein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrages führt. Mit Urteil v. 12.5.2016 hat sich der BGH für die Nichtigkeit des Anwaltsvertrages nach § 134 BGB entschieden. Man kann es durchaus als "überraschend" bezeichnen, dass der BGH nun gerade in diesem Fall die Streitfrage entschieden hat, denn dort kam es auf die Frage nicht an, weil der BGH einen Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO ablehnte. In vergleichbaren Fällen hatte der BGH zuvor daher stets die Streitfrage der Nichtigkeit dahingestellt sein lassen. Die Entscheidung des BGH für die Nichtigkeit ist an sich dagegen nicht überraschend, sie folgt konsequent der bisherigen Rechtsprechung des BGH zu anderen Tätigkeitsverboten, wie z.B. beim Tätigwerden entgegen dem Verbot des § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO (vgl. hierzu unten Rdn 56): Dort hatte sich der BGH bereits Jahre zuvor ausdrücklich für eine Nichtigkeit des Anwaltsvertrages entschieden.
Rz. 26
Fraglich bleibt jedoch, ab welchem Zeitpunkt der Anwaltsvertrag nichtig ist. Mit Urteil v. 23.4.2009 hatte der IX. Senat des BGH zuvor festgestellt (in teilweise anderer personeller Besetzung), dass ein Verstoß des Anwalts gegen das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen grundsätzlich nicht zur rückwirkenden Nichtigkeit des Anwaltsvertrages führt. In jenem Urteil führt der BGH aus, dass es im Interesse des Mandanten sei, dass
Zitat
"diese vertragliche Grundlage – etwa im Hinblick auf Schadensersatzansprüche wegen Schlechtleistung – erhalten bleibt"
Dagegen führt der BGH in seiner Entscheidung vom 16.5.2016 aus, dass
Zitat
"der Mandant (…) trotz Nichtigkeit des Anwaltsvertrages nicht schutzlos bleibt. Hat ihm der Anwalt im Rahmen des nichtigen Vertrages Schaden zugefügt, kann er nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB Ersatz dieses Schadens verlangen".
Zum "Beleg" seiner Auffassung bezieht sich der Senat ("vgl.") auf eine Veröffentlichung Vills – einem der Richter, der dieses Urteil mit verfasst hat. Mit den Ausführungen in dem Urteil v. 23.4.2009 setzt sich der Senat leider gar nicht auseinander und erwähnt jenes vorhergehende Urteil lediglich am Rand und in einem anderen Zusammenhang.
Rz. 27
Die Beantwortung dieser Frage nach dem Zeitpunkt der Nichtigkeit steht in Zusammenhang – man möchte fast sagen "kollidiert" – mit der Frage nach dem Beurteilungsmaßstab des Begriffes "widerstreitende Interessen" bzw. des "pflichtwidrigen Dienens" (vgl. hierzu oben Rdn 16). Wählt man einen objektiven Maßstab (vgl. hierzu oben Rdn 18), so ist der Vertrag bereits bei einem objektiven Verstoß nichtig, namentlich bei der Vertretung mehrerer Miterben im Rahmen einer Erbauseinandersetzung von Anbeginn an (vgl. hierzu auch unten Rdn 36 ff.).
Betrachtet man das Problem dagegen mit einem subjektiven Maßstab (vgl. hierzu oben Rdn 19), so würde der Vertrag erst ab dem Augenblick nichtig sein, wenn die vertretenen Miterben sich gegenüber dem Anwalt nicht mehr auf ein einheitliches Vorgehen verständigen können.
Ähnliches gilt für die Vertreter der objektiv-subjektiven Betrachtung, nur dass hier die Aufklärung durch den Rechtsanwalt hinzutreten muss (vgl. hierzu oben Rdn 20). Der Zeitpunkt der Nichtigkeit gewinnt auch Bedeutung für das Schicksal des Gebührenanspruches des Rechtsanwalts (vgl. hier nachfolgend Rdn 29).
Rz. 28
Die Wirksamkeit der dem Anwalt erteilten (Prozess-)Vollmacht ist unabhängig von dem zugrundliegenden Geschäftsbesorgungsvertrag. Somit wird auch die Wirksamkeit vorgenommener Prozesshandlungen nicht berührt. Die Argumentation orientiert sich dabei weniger am Gesetz und der juristischen Logik, sondern an dem Bestreben "die Beteiligten im Interesse der Rechtssicherheit zu schützen".