Rz. 173
Viele D&O-Versicherungspolicen in der Praxis beinhalten insofern jedoch (mehr oder weniger wirksame) Einschränkungen. So hieß es noch in Ziff. 11.2 des Modells von 2005, dass Ansprüche – vor ihrer endgültigen Feststellung ohne ausdrückliche Zustimmung des Versicherers – nicht auf Dritte übertragen werden können. Dieses Abtretungsverbot des Versicherungsanspruches konnte – vor Änderung des VVG – selbst in AGB wirksam vereinbart werden. Dies hing damit zusammen, dass § 75 VVG a.F. durchaus zum Nachteil der Versicherten abbedungen werden konnte. Wenn dann trotz Abtretungsverbotes ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag abgetreten worden ist, war die Abtretung nach h.M. eben unwirksam.
Rz. 174
Mit Änderung des VVG zum 1.1.2008 hat sich diese Ausgangslage grundlegend geändert. Nach § 108 Abs. 2 VVG kann die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten nunmehr nicht mehr wirksam durch Allgemeine Versicherungsbedingungen ausgeschlossen werden. Theoretisch bliebe den Versicherern der Weg über die Individualvereinbarung, was jedoch kaum praktikabel erscheint. Zwar gilt diese Beschränkung der Vertragsfreiheit durch § 108 Abs. 2 VVG dem Wortlaut nach nicht bei Großrisiken (§ 210 VVG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 S. 2 des EGVVG), aber es ist nicht ausgeschlossen, dass der Grundgedanke des Gesetzgebers dennoch von Gerichten als so wesentlich eingestuft werden wird, dass formularmäßige Abweichungen auch im Großrisikobereich Inhaltskontrollen nicht standhalten werden.
Auf diese VVG-Änderungen hatte der GDV bereits frühzeitig im D&O-Modell 2007 reagiert. Seit 2007 heißt es daher: Die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag steht ausschließlich den versicherten Personen zu (dies gilt nur nicht im Falle der Ziff. A-3). Der Freistellungsanspruch darf vor seiner endgültigen Feststellung ohne Zustimmung des Versicherers weder abgetreten noch verpfändet werden (Ziff. A-9 AVB-D&O). In S. 2 der Ziff. A-9 AVB-D&O findet sich dann die aus § 108 Abs. 2 VVG folgende notwenige Einschränkung: Eine Abtretung an den geschädigten Dritten ist zulässig.
Rz. 175
Die Frage, wer Dritter i.S.v. § 108 Abs. 2 VVG ist, ist jedenfalls im Hinblick auf die D&O-Versicherung kontrovers diskutiert worden.
Nach dem Wortlaut des § 100 VVG ist als Dritter der von der Versicherungsnehmerin Geschädigte anzusehen. Im Rahmen von Innenhaftungsfällen der D&O-Versicherung ist Geschädigter der Versicherungsnehmer selbst.
Einer Ansicht zufolge kann der geschädigte Versicherungsnehmer nicht Dritter i.S.v. § 108 Abs. 2 VVG sein, da er nicht außerhalb des Versicherungsverhältnisses stehe. Begründet wird diese Auffassung mit dem Risiko des kollusiven Zusammenwirkens von versicherten Personen und Versicherungsnehmer bei Vereinigung des Haftpflicht- mit dem Freistellungsanspruch. Der Versicherungsnehmer, der den Versicherer bei der Abwehr von Ansprüchen unterstützen soll, wäre ansonsten Inhaber dieses Anspruchs, was mit Sinn und Zweck des § 108 Abs. 2 VVG nicht vereinbar sei. Denn Sinn und Zweck der Regelung des § 108 Abs. 2 VVG sei es, dem Geschädigten einen Zahlungsanspruch gegen den Versicherer zu gewähren, ohne den Versicherungsnehmer in die Schadensabwicklung einzubeziehen und weiter den Geschädigten von Nachteilen bei unzureichender Schadensabwicklung durch den Versicherungsnehmer und/oder dessen Insolvenz zu schützen. Außerdem widerspreche die Abtretbarkeit des Deckungsanspruchs dem Trennungsprinzip.
Nach überwiegender Auffassung kann Dritter i.S.v. § 108 Abs. 2 VVG auch der geschädigte Versicherungsnehmer einer D&O-Versicherung bei Innenhaftungsfällen sein.
Diese zuletzt genannte Ansicht hat der BGH in seinen Urteilen vom 13.4.2016 vertreten. Zur Begründung führt der BGH an, dass zum einen die weite Auslegung des Begriffs "Dritter" in § 108 VVG interessengerecht sei. Die Missbrauchsgefahr durch kollusives Zusammenwirken komme außer bei der D&O-Versicherung auch in anderen Sparten der Haftpflichtversicherung und auch dann vor, wenn eine Abtretung des Deckungsanspruches nicht erfolgt ist. § 100 VVG beziehe sich auf den Normalfall der Versicherung für eigene Rechnung, besage aber nicht, dass bei einer Versicherung für fremde Rechnung der geschädigte Versicherungsnehmer nicht Dritter sein könne. Der VI. Zivilsenat des BGH habe einer Direktklage des bei einem Verkehrsunfall durch den Fahrer eines Kraftfahrzeuges geschädigten Kfz-Halters gegen die Versicherung auf Ersatz des Personenschadens nach § 3 Nr. 1 PflVG a.F. stattgegeben mit der Begründung, die Interessenlage gebiete es, den verletzten Versicherungsnehmer auch in den verbesserten Schutz des Unfallgeschädigten einzubeziehen, den der Gesetzgeber mit Schaffung der Direktklage verfolgt habe. Die Interessenlage sei bei Innenhaftungsfällen im Rahmen der D&O-Versicherung vergleichbar und die Entscheidung deshalb übertragbar.
Auch stehe der in der Haftpflichtversicherung geltende, gesetzlich aber nicht verankerte Trennungsgrundsatz ein...