Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
a) Allgemeines
Rz. 384
Die Wirkungen des Europäischen Nachlasszeugnisses sind in Art. 69 EuErbVO geregelt. Durch diese Norm hat der Verordnungsgeber im Kern supranationales Erbrecht geschaffen, um zu vermeiden, dass sich in jedem Verwendungsstaat erneut die Frage nach den Wirkungen des Zeugnisses stellt. Vom Zeugnis gehen folgende drei Wirkungen aus:
▪ |
Beweis- oder Vermutungswirkung (Abs. 2) |
▪ |
Gutglaubenswirkung (Abs. 3 und 4) |
▪ |
Legitimationswirkung (Abs. 5). |
b) Beweis- und Vermutungswirkung
Rz. 385
Erwägungsgrund 71 der EuErbVO umschreibt die Beweis- und Vermutungswirkung wie folgt:
Zitat
"Das Zeugnis sollte in sämtlichen Mitgliedstaaten dieselbe Wirkung entfalten. Es sollte zwar als solches keinen vollstreckbaren Titel darstellen, aber Beweiskraft besitzen, und es sollte die Vermutung gelten, dass es die Sachverhalte zutreffend ausweist, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, wie beispielsweise die materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen. Die Beweiskraft des Zeugnisses sollte sich nicht auf Elemente beziehen, die nicht durch diese Verordnung geregelt werden, wie etwa die Frage des Status oder die Frage, ob ein bestimmter Vermögenswert dem Erblasser gehörte oder nicht. (…)"
Rz. 386
Demnach erzeugt das Zeugnis die gleichen Wirkungen wie der Erbschein: Es wird positiv vermutet, dass der Inhalt des Zeugnisses bezogen auf die ausgewiesenen Personen, Rechte und ihre Befugnisse richtig ist. Negativ wird vermutet, dass die benannten Personen keinen außer den aufgeführten Beschränkungen unterliegen. Im Gegensatz zum Erbschein kann mit dem Zeugnis auch die Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers nachgewiesen werden, weil dieser in das Zeugnis aufgenommen wird.
Keinesfalls erstreckt sich die Vermutung auf Umstände, die außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung liegen. Zwar kann das Zeugnis nach Art. 68 Buchst. l EuErbVO auch Rechte und Vermögenswerte aufführen, die einem bestimmten Erben zustehen. Allerdings ist die Zuordnung des Eigentums an konkreten Gegenständen der Erbschaft eine sachenrechtliche Vorfrage, sodass Obergerichte bereits derartige informatorische Angaben im Zeugnis für unwirksam erklärt haben.
Zwar enthält die Erbrechtsverordnung keine Regelung zur Widerlegung der Vermutung. Daraus ist aber nicht der Schluss zu ziehen, dass die Vermutung nicht widerlegbar ist. Vielmehr ist von der Widerlegbarkeit durch Beweis des Gegenteils auszugehen.
c) Gutglaubenswirkung
Rz. 387
Erwägungsgrund 71 der EuErbVO führt zur Gutglaubenswirkung aus:
Zitat
"(…) Einer Person, die Zahlungen an eine Person leistet oder Nachlassvermögen an eine Person übergibt, die in dem Zeugnis als zur Entgegennahme dieser Zahlungen oder dieses Vermögens als Erbe oder Vermächtnisnehmer berechtigt bezeichnet ist, sollte ein angemessener Schutz gewährt werden, wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben gutgläubig gehandelt hat. Der gleiche Schutz sollte einer Person gewährt werden, die im Vertrauen auf die Richtigkeit der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben Nachlassvermögen von einer Person erwirbt oder erhält, die in dem Zeugnis als zur Verfügung über das Vermögen berechtigt bezeichnet ist. Der Schutz sollte gewährleistet werden, wenn noch gültige beglaubigte Abschriften vorgelegt werden. (…)"
Rz. 388
Die Gutglaubenswirkung knüpft an die Vermutungswirkung an. Wenn die inhaltliche Richtigkeit des Zeugnisses positiv wie negativ vermutet wird, wird dadurch ein Vertrauenstatbestand geschaffen, der Grundlage des guten Glaubens ist.
Allerdings unterscheidet sich in diesem Punkt das Europäische Nachlasszeugnis vom Erbschein. Denn der gute Glaube an die inhaltliche Richtigkeit des Erbscheins entfällt nur bei positiver Kenntnis der Unrichtigkeit. Dagegen versagt das Zeugnis bereits bei grober Fahrlässigkeit den Gutglaubensschutz.
Das Europäische Nachlasszeugnis unterscheidet sich auch in einem weiteren Punkt vom Erbschein: Die Gutglaubenswirkung des Erbscheins ist abstrakt, also unabhängig davon, ob er bei Vornahme der Rechtshandlung vorgelegt wird oder nicht. Dagegen verlangt der zitierte Erwägungsgrund 71 der EuErbVO die Vorlage des Zeugnisses, sodass es nur einen konkreten Gutglaubensschutz bewirkt.
Rz. 389
Leistung eines Dritten an Zeugnisberechtigten: Gemäß Art. 69 Abs. 3 EuErbVO ist eine im Zeugnis ausgewiesene Person als berechtigt zur Entgegennahme einer Zahlung und Übergabe von Vermögenswerten von Dritten anzusehen, es sei denn, dass der Dritte die inhaltliche Unrichtigkeit des Zeugnisses kannte oder grob fahrlässig verkannt hat. Zwar deutet der Wortlaut darauf hin, dass nur die körperliche Übergabe von Vermögenswerten gemeint ist. Doc...