Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
I. Allgemeines
Rz. 240
Wegen der Rechtsscheinwirkung des Erbscheins müssen unrichtige Erbscheine so schnell wie möglich "aus dem Verkehr gezogen" werden. Deshalb sieht § 2361 BGB vor, dass unrichtige Erbscheine von Amts wegen einzuziehen sind. Damit ist auch klar, dass ein Erbschein nicht in Rechtskraft erwachsen kann.
Dazu das OLG Köln:
Zitat
"Die Einziehung eines Erbscheins kann auch lange Zeit nach seiner Erteilung (hier: 27 Jahre) beantragt werden, selbst wenn früher alle Beteiligten mit seinem Inhalt einverstanden waren und ihr Verhalten darauf abgestellt haben."
Rz. 241
Möglich ist aber auch eine Einziehung nach langer Zeit (28 Jahre), wenn das Nachlassgericht ein Testament anders als bisher auslegt.
II. Verfahrensgrundsätze
Rz. 242
Das Einziehungsverfahren wird von Amts wegen eingeleitet. Entsprechende Anträge haben nur den Charakter von Anregungen. Für das gesamte Einziehungsverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG.
III. Zuständigkeit
Rz. 243
Dasjenige Nachlassgericht, das den unrichtigen Erbschein erteilt hat, ist auch für seine Einziehung zuständig. Grundsätzlich entscheidet der Rechtspfleger, § 3 Nr. 2 Buchst. c RPflG. Hat der Richter den Erbschein erteilt, ist er auch für seine Einziehung zuständig, § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG.
Rz. 244
Zur örtlichen Zuständigkeit für die Einziehung eines von einem staatlichen Notariat der DDR erteilten Erbscheins hat das KG entschieden:
Zitat
"Das gemäß § 73 I FGG örtlich zuständige Nachlaßgericht ist seit dem 3.10.1990 auch für die Einziehung eines Erbscheins zuständig, den ein staatliches Notariat der ehemaligen DDR in bezug auf dort belegenes Vermögen nach einem mit letztem Wohnsitz im Gebiet der alten Bundesländer verstorbenen Erblasser erteilt hat."
IV. Begriff der Unrichtigkeit
1. Allgemeines
Rz. 245
Ein Erbschein ist dann unrichtig, wenn entweder die Voraussetzungen für seine Erteilung von Anfang an nicht vorgelegen haben oder wenn nach seiner Erteilung aufgrund neuer Tatsachen die Voraussetzungen für seine Erteilung weggefallen sind.
Die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen sind grundsätzlich dann als nicht mehr festgestellt zu erachten, wenn die Überzeugung des Gerichtes von der Richtigkeit des Erbscheins über einen bloßen Zweifel hinaus erschüttert ist.
Zu unterscheiden sind die formelle und materielle Unrichtigkeit.
2. Formelle Unrichtigkeit
Rz. 246
Selbst wenn ein Erbschein inhaltlich richtig ist, kann er aus formellen Gründen, also dann, wenn er verfahrensrechtlich nicht hätte erteilt werden dürfen, unrichtig sein. Allerdings wird dies nur bei gravierenden Verfahrensfehlern angenommen. Gründe für eine formelle Unrichtigkeit können sein:
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Fehlender Erbscheinsantrag. Allerdings kann ein Antragsberechtigter die Erteilung nachträglich genehmigen. |
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Örtliche Unzuständigkeit des den Erbschein erteilenden Nachlassgerichts. In einem solchen Fall muss verhindert werden, dass von dem tatsächlich zuständigen Gericht ein weiterer Erbschein – mit möglicherweise abweichendem Inhalt – erteilt wird. Trotz der Vorschrift des § 2 Abs. 3 FamFG ist der Erbschein einzuziehen. |
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Funktionelle Unzuständigkeit des Rechtspflegers. Erteilt der Rechtspfleger einen Erbschein, obwohl er dazu funktionell nicht zuständig gewesen wäre, ist der Erbschein auch dann einzuziehen, wenn nach § 16 Abs. 2 RPflG der Richter die Aufgabe dem Rechtspfleger hätte übertragen können. |
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Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) führt nicht zur Einziehung des Erbscheins, weil der Mangel durch Nachholung geheilt werden kann. |
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Unrichtige Angabe des Berufungsgrundes im Erbschein führt nicht zu dessen Einziehung, sondern zur Berichtigung analog § 319 Abs. 1 ZPO. |
3. Materielle Unrichtigkeit
Rz. 247
Materielle Unrichtigkeit liegt vor, wenn die materielle Rechtslage einerseits und das im Erbschein bezeugte Erbrecht andererseits nicht übereinstimmen. Beispiele hierfür sind der Erbschein des Vorerben nach Eintritt des Nacherbfalls oder das Auffinden eines Testaments, das die Erbfolge anders regelt, als sie im Erbschein genannt ist.
Rz. 248
Eine zur Einziehung verpflichtende Unrichtigkeit eines Erbscheins gem. § 2361 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn die Voraussetzungen für seine Erteilung schon ursprünglich nicht gegeben waren oder nachträglich nicht mehr vorhanden sind. Die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen sind grundsätzlich dann als nicht mehr festgestellt zu erachten, wenn die Überzeugung des Gerichtes von der Richtigkeit des Erbscheins über einen bloßen Zweifel hinaus erschüttert ist.
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